Mit offenen Karten
ich an jenem Abend sagte: Miss Meredith würde nur aus Angst morden. Sie weiß, dass ihre Herrin in der Lage ist, den Diebstahl zu beweisen. Es gibt nur eine Rettung: Die Frau muss sterben. Und so vertauscht sie die Flaschen. Mrs Benson stirbt – Ironie des Schicksals – überzeugt, dass der Irrtum ihr eigenes Verschulden war, und verdächtigt keinen Augenblick lang das verschüchterte, gedrückte Mädchen, die Hand im Spiel gehabt zu haben.»
«Es ist möglich», sagte Superintendent Battle, «es ist nur eine Hypothese, aber sie ist möglich.»
«Es ist etwas mehr als möglich, mein Freund – es ist sogar wahrscheinlich. Denn ich habe heute Nachmittag eine kleine Falle mit einem guten Köder gestellt – die wirkliche Falle, nachdem die Scheinfalle umgangen worden war. Wenn meine Vermutung stimmt, wird Anne Meredith niemals der Versuchung von einem wirklich schönen teuren Paar Seidenstrümpfen widerstehen können. Ich bat sie, mir behilflich zu sein. Ich gebe ihr en passant zu verstehen, dass ich nicht genau weiß, wie viele Paar Strümpfe da sind, ich gehe aus dem Zimmer und lasse sie allein – mit dem Ergebnis, mein Freund, dass ich nun achtzehn statt neunzehn Paar Strümpfe habe und dass ein Paar in Anne Merediths Handtasche mit fortgegangen ist.»
Battle stieß einen leisen Pfiff aus. «Aber was für ein Risiko!»
« Pas du tout. Welchen Verdacht, glaubt sie, dass ich habe? Mord. Was riskiert sie also, wenn sie ein Paar Seidenstrümpfe stiehlt? Ich fahnde ja nach keinem Dieb. Und außerdem sind Diebe und Kleptomanen in gleicher Weise immer überzeugt, dass man sie nicht erwischt.»
Battle nickte.
«Das ist wahr. Unglaublich dumm – der Krug geht so lange zum Brunnen – nun, ich glaube, zusammen sind wir der Wahrheit ziemlich auf den Grund gekommen. Anne Meredith wurde beim Stehlen ertappt. Anne Meredith hat die Flaschen auf den Regalen vertauscht. Wir wissen, dass es Mord war, aber der Teufel soll mich holen, wenn wir es je beweisen können. Gelungenes Verbrechen Nr. 2. Roberts entwischt, Anne Meredith entwischt. Aber was ist mit Shaitana? Hat Anne Meredith Shaitana ermordet?»
Er dachte einen Moment nach.
«Die Sache hat einen Haken», fuhr er widerstrebend fort. «Sie ist keine, die ein großes Risiko eingeht. Zwei Flaschen vertauschen, das ja. Sie wusste, dass niemand ihr das nachweisen könnte. Es war vollkommen ungefährlich – weil jeder es getan haben konnte. Natürlich hätte es misslingen können. Mrs Benson hätte es bemerken können, ehe sie das Zeug trank, oder sie hätte überleben können. Es war, was ich einen ‹hoffnungsvollen Mord› nenne. Er kann gelingen oder nicht. Tatsächlich gelang er; aber Shaitana war eine andere Sache. Das war überlegter, kühner, vorsätzlicher Mord.»
Poirot nickte.
«Ich bin der Meinung, dass dies zwei verschiedene Arten von Verbrechen sind.»
«Das scheint sie also, was Shaitana betrifft, auszuschließen. Roberts und das Mädchen, beide von unserer Liste gestrichen. Und Despard? Hatten Sie bei der Luxmore mehr Glück?»
Poirot schilderte seine Erlebnisse vom Nachmittag zuvor.
Battle grinste.
«Ich kenne diesen Typ. Man kann das, an was sie sich erinnern, nicht von dem unterscheiden, was sie erfinden.»
Poirot schilderte dann Despards Besuch und wiederholte die Geschichte, die er erzählt hatte.
«Glauben Sie ihm?», fragte Battle kurz.
«Ja.»
Battle seufzte.
«Ich auch. Er ist nicht der Mann, einen anderen zu erschießen, weil er dessen Frau haben will. Und außerdem, wozu gibt es Scheidungen? Alle Welt lässt sich heute scheiden. Und er ist kein Arzt oder Anwalt oder so etwas, es würde weder seiner Karriere schaden noch sonst irgendwie. Nein, ich bin der Ansicht, dass unser armer, verstorbener Shaitana da auf dem Holzweg war. Mörder Nr. 3 war gar kein Mörder!»
Er blickte Poirot an.
«Also bleibt nur?»
«Mrs Lorrimer», ergänzte Poirot.
Das Telefon klingelte. Poirot ging zum Apparat. Er sprach kurz, wartete und sprach wieder. Dann legte er den Hörer auf und kehrte zu Battle zurück. Sein Gesicht war ernst.
«Das war Mrs Lorrimer», sagte er. «Sie bittet mich, zu ihr zu kommen, und zwar gleich.»
Er und Battle blickten einander an. Letzterer schüttelte langsam den Kopf.
«Irre ich mich? Oder haben Sie etwas Derartiges erwartet?»
«Ich habe mich gefragt», gab Hercule Poirot zu. «Das war alles. Ich habe mich gefragt.»
«Gehen Sie lieber gleich!», drängte Battle. «Vielleicht kommen wir jetzt endlich der Wahrheit
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