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Mit offenen Karten

Mit offenen Karten

Titel: Mit offenen Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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eines zu begehen, Miss Meredith wäre imstande, den Kopf zu verlieren und sich zu verraten. Sie, Madame, würden keinen dieser Fehler begehen. Sie wären klar und besonnen. Sie haben genügend Entschlusskraft und könnten von einer Idee genügend besessen sein, um alle Vorsicht beiseitezuschieben. Sie sind nicht die Frau, die den Kopf verliert.»
    Mrs Lorrimer schwieg, während ein eigentümliches Lächeln ihre Lippen umspielte. Endlich sagte sie:
    «Also das ist Ihre Meinung über mich, Monsieur Poirot, dass ich die richtige Person bin, den perfekten Mord zu begehen.»
    «Sie haben wenigstens die Liebenswürdigkeit, diesen Gedanken nicht übel zu nehmen.»
    «Ich finde ihn sehr interessant. Sie sind also der Meinung, dass ich die einzige bin, die Shaitana mit Erfolg hätte ermorden können.»
    «Aber die Geschichte hat einen Haken», gab Poirot zu.
    «Und zwar?»
    «Sie haben vielleicht bemerkt, dass ich mich soeben ungefähr folgendermaßen ausdrückte: ‹Damit ein Verbrechen gelingt, muss es gewöhnlich vorher sorgfältig geplant werden.› ‹Gewöhnlich› ist das Wort, auf das ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, denn es gibt noch eine Art, ein Verbrechen erfolgreich durchzuführen. Haben Sie je plötzlich zu jemandem gesagt: ‹Schleudern Sie einen Stein, und versuchen Sie, diesen Baum da zu treffen?› Der Aufgeforderte gehorcht schnell und ohne nachzudenken, und – erstaunlich oft trifft er tatsächlich den Baum! Aber wenn er den Wurf wiederholen soll, ist es schon schwieriger – denn er hat begonnen nachzudenken. Das erste Mal war es eine fast unbewusste Handlung, der Körper gehorchte dem Geist wie der Körper eines Tieres. Eh bien, Madame, es gibt ein derartiges Verbrechen, das instinktiv begangen wird – eine Eingebung – ein Geistesblitz – ohne Zeit, zu zaudern oder zu überlegen. Und so ein Verbrechen war es, dem Mr Shaitana zum Opfer gefallen ist. Eine plötzlich tragische Notwendigkeit – eine Eingebung – eine rasche Durchführung.»
    Er schüttelte den Kopf.
    «Und das, Madame, ist ganz und gar nicht Ihre Art von Verbrechen. Hätten Sie Mr Shaitana umgebracht, wäre es ein vorbedachtes Verbrechen gewesen.»
    «Ich verstehe. Und da es natürlich kein vorbedachtes Verbrechen war, so kann ich ihn nicht getötet haben – nicht wahr, Monsieur Poirot?»
    Poirot verbeugte sich.
    «Stimmt, Madame.»
    «Und doch…», sie beugte sich vor, «habe ich Shaitana getötet, Monsieur Poirot.»

26
     
    E s entstand eine lange, lange Pause.
    Es wurde dunkel, das Kaminfeuer flackerte.
    Mrs Lorrimer und Hercule Poirot sahen einander nicht an, sondern blickten beide ins Feuer. Es war, als würde die Zeit einen Augenblick lang stillstehen.
    Dann regte Hercule Poirot sich und seufzte.
    «Also das war es – die ganze Zeit… Warum haben Sie ihn getötet, Madame? Weil er etwas über Sie wusste – etwas, das vor langer Zeit geschah?»
    «Ja.»
    «Und dieses Etwas war – ein anderer Todesfall, Madame?»
    Sie senkte den Kopf. Poirot sagte sanft:
    «Warum haben Sie es mir gesagt? Warum ließen Sie mich heute kommen?»
    «Sie sagten mir einmal, dass ich es eines Tages tun würde.»
    «Ja – das heißt, ich hoffte… ich wusste, Madame, dass es nur einen Weg gibt, in Ihrem Fall die Wahrheit zu erfahren, und das ist durch Ihren eigenen freien Willen. Wenn Sie nicht sprechen wollten, so würden Sie nicht sprechen, und Sie würden sich nie verraten. Aber es bestand eine Möglichkeit – dass Sie selbst den Wunsch hätten zu sprechen.»
    Mrs Lorrimer nickte.
    «Es war sehr klug von Ihnen, das vorauszusehen – die Müdigkeit – die Einsamkeit…»
    Ihre Stimme erstarb.
    Poirot sah sie prüfend an.
    «Also war es so. Ja, ich verstehe, es könnte…»
    «Allein, ganz allein», sagte Mrs Lorrimer. «Niemand weiß, was das bedeutet, der nicht so gelebt hat wie ich, mit dem Bewusstsein dessen, was man getan hat.»
    Poirot fragte behutsam:
    «Ist es unverschämt von mir, Madame, oder darf ich Ihnen meine Teilnahme ausdrücken?»
    Sie senkte ein wenig den Kopf.
    «Ich danke Ihnen, Monsieur Poirot.»
    Es entstand eine neuerliche Pause, und dann sagte Poirot:
    «Soll ich es so verstehen, Madame, dass Sie die Worte, die Mr Shaitana bei Tisch sprach, als direkte, auf Sie gezielte Drohung auffassten?»
    Sie nickte.
    «Ich begriff sofort, dass er sprach, um von einer bestimmten Person verstanden zu werden. Diese Person war ich. Die Anspielung, dass Gift die Waffe der Frau sei, galt mir. Er wusste es. Ich hatte es schon einmal

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