Mit Pflanzen verbunden
dass ich und auch die „Aschenbrennerin“ – die begabte bayrische Kräuterfrau Eva Aschenbrenner – bei dem Treffen dabei seien, deswegen sei er mal vorbeigekommen. Sepp Ott, ein Münchner Original und alter Naturbursche, der mit viel Witz und Humor Kräuterwanderungen mitten in der bayrischen Hauptstadt durchführt, war in besonders guter Stimmung. „Es ist herrlich, hier zu sein, trotz Regen. Königsdorf weckt in mir wunderbare Erinnerungen, sag ich dir. Damals, als zwölf- oder dreizehnjähriger Bua, hab ich hier mit der Hitlerjugend gezeltet. Ja, mei, was hatten wir für eine Gaudi!“
Ich muss ihn wohl etwas skeptisch angeschaut haben, so dass er auf meine Gedanken einging: „Äh, so ein Schmarren, das hat mit Nazis überhaupt nichts zu tun gehabt. Wir waren einfach Buben, die mal aus den engen Gassen der Stadt rauskamen und die Gelegenheit nutzten, sich im Wald und unten am Fluss auszutoben und abends am Lagerfeuer zu sitzen. So richtig die freie Natur genießen, das war wunderbar!“
Auch am dritten Tag regnete es weiter. Nur bei meiner Kräuterwanderung gab es – wie der Zufall es wollte – eine kurze Pause, so dass ich den Leuten einheimische Heilpflanzen und essbares Wildgemüse zeigen konnte. In dieser Nacht hörte man verdächtige Geräusche: hastige Schritte zu den Latrinen, Würgen und Brechen. Überall, hinter den Zelten und im Gebüsch, wurde gekotzt. Es roch nach Durchfall und saurem Erbrochenen. Die ständige Nässe und Kälte hatten das ihrige getan – epidemieartig breitete sich eine Darmgrippe aus. Einer der Teilnehmer, mit dem ich mich angefreundet hatte, war ein junger Arzt. Er ließ öffentlich verkünden, dass er ein Ordinationszelt aufstellen und jeden, der von der Darmgrippe befallen sei, kostenlos behandeln werde.
„Was für Medizin hast du denn?“, fragte ich ihn neugierig.
„Eigentlich nichts. Ich gebe kleine weiße Placebopillen aus. Das stabilisiert wenigstens die Psyche. Wir wollen ja keine Panik. Wieso, weißt du etwa ein pflanzliches Mittel?“
„Nee, mir fällt nichts ein“, antwortete ich.
Trotz Bauchkrämpfen, Dünnschiss und Brechreiz blieb das Ordinationszelt praktisch leer. Die Naturmenschen, Ökofreaks und Indianerfans waren ja gekommen, um wenigstens für eine Woche mal aus der naturentfremdeten, verkabelten, übertechnisierten Konsumgesellschaft auszusteigen, sich der elektronischen Fesseln zu entledigen und die Generalprobe für die zukünftige naturnahe, harmonische und spirituelle Neusteinzeit zu proben. Sie gaben sich fast beleidigt, als man ihnen mit Pillen kam, die in irgendeinem Chemielabor produziert worden waren. Wild wachsende Heilkräuter, so wie sie die Indianer oder Kelten verwendeten, das wollten sie. Darauf bestanden sie.
Sie wandten sich an mich und drängelten: „Komm doch, Wolf, du kennst bestimmt irgendein Kraut, das bei Darmgrippe wirkt!“
Wie so oft stand ich ratlos da. Sicherlich hatte ich irgendwo mal, bei der Treben, beim Kräuterpfarrer Künzle oder beim Apotheker Pawlow, etwas über Kräuter gegen Darmgrippe gelesen, aber im Augenblick fiel mir nichts ein, außer Kamille. Doch plötzlich war es, als hörte ich die Stimme eines Geistes sagen: „Mach die Augen auf, du dummer Mensch! Die Lösung des Problems steht vor dir. Wisse, das Heil ist immer gegenwärtig.“ In diesem Augenblick sah ich sie: Da wuchs sie überall am Bach und auf der Wiese – die Wald-Engelwurz, der Engel des Waldes. Ich hatte bis dahin nur wenig Erfahrung mit der großen Pflanze gesammelt. In der Gemeinschaft in der Nähe von Genf, wo ich einst Gemüsegärtner war, hatten wir in der feuchtkalten Übergangszeit zwischen Herbst und Winter täglich zur Vorbeugung gegen Grippe und Erkältung den Engelwurztee getrunken. Es hieß, der herb würzige Aufguss stärke das Immunsystem. Die Pflanze selbst kannte ich damals noch nicht, da wir die trockenen, zerkleinerten Wurzeln aus der Apotheke bezogen. Der Tee schien aber zu wirken. Die eigentliche Pflanze hatte ich erst viel später kennen gelernt, als mir der Kräutermeister Sepp Ott bei einer Kräuterexkursion im Schwarzwald freudestrahlend ein fast zwei Meter hohes, blühendes Doldengewächs zeigte und sagte: „Schau her, ist sie nicht schön?“ Er war ganz verblüfft, dass ich, der angebliche Kräuterexperte, die Engelwurz nicht kannte.
Ja, und nun hatte sie mich gerufen. Das hatte mir Bill Tallbull, der Cheyenne-Medizinmann, immer gesagt: „Nicht du suchst die Pflanze, sondern sie sucht dich!“ Ich
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