Mit Pflanzen verbunden
erschröckliche Träum und Nachtgespenst hinwegtreiben.“
Die Mönche beließen es nicht nur beim Wurzelpulver oder -tee. Beliebt war ein Magenwein, bestehend aus Rotwein, in dem die Wurzel einige Wochen lang in der Sonne mazeriert 1 wurde. Dank des Studiums der – ursprünglich arabischen – Alchemie brannten die Klosterbrüder bald aus Angelika und anderen Kräutern magenwirksame, verdauungsfördernde Kräuterliköre, aus denen die noch heute bekannten Marken wie Boonekamp, Benediktiner, Chartreuse und andere Magenbitter hervorgingen. Ein „Cholera-Likör“, als Schutz gegen den gefährlichen Brechdurchfall, wurde ebenfalls zubereitet. Auch der Tröster hysterischer Nonnen, die Melissentropfen der Karmeliterinnen, enthält neben der herzberuhigenden, krampflösenden Zitronen-Melisse (Melissa officinalis) auch etwas Engelwurz.
Schon bei den Heiden, lange bevor die Klostermedizin sich ihrer bemächtigte, war die Engelwurz ein heiliges Gewächs. Die nordischen Barden und Skalden, die ekstatisch inspirierten Dichter und Sänger, trugen Kränze aus Engelwurz auf dem Haupt. Der Duft, heißt es, vermittelte ihnen die Inspirationen Bragis‘ , des Gottes der Dichter. Und noch immer werden in Skandinavien Engelwurzblätter als Palmen am Palmsonntag getragen.
Auch als Nahrungsmittel war die Engelwurz im hohen Norden von Bedeutung. Angelika wurde in den Gemüsegärten angepflanzt. In Island war es gesetzlich verboten, bei anderen die Wurzeln auszugraben. Die jungen Blattstängel kamen mit in Suppen, Salate und Gemüse. In Norwegen wurde das Wurzelpulver als Gewürz mit ins Brot gebacken, so in etwa wie die Bayern Kümmel mit in den Teig tun. Später, als Zucker leicht erhältlich war, wurde es Mode, ein Konfekt aus kandierten Engelwurzstängelstückchen zuzubereiten. Die Lappen kochten die jungen zerhackten Blütendolden in Rentiermilch zu einer grützeartigen Konsistenz, füllten die Masse in gereinigte Rentiermägen und hängten sie zum Trocknen auf. Die einem Käse nicht unähnliche Speise galt als Delikatesse (Marzell 2002: 163). Sie wickelten Fische in Angelikablätter ein, um diese länger haltbar zu machen.
Auf der anderen Seite der Beringstraße wächst die Engelwurz ebenfalls. Ein ganz besonderer Leckerbissen für die Eskimos ist ein Kompott, das folgendermaßen hergestellt wird: Die Eskimofrauen kauen Speck und spucken das Zerkaute auf gehackte Engelwurzstängel. Zusammen bleibt es lange stehen, damit es gut durchzieht, und wird dann mit großem Genuss gegessen.
Ein immunstärkendes Pestkraut
Wenn man das breit gefächerte Wirkspektrum der Wurzel betrachtet – sie wirkt antiseptisch, appetitanregend, magentonisch, wind-, harn- und schweißtreibend (also ausleitend und entgiftend), krampflösend, galleanregend, schleimlösend, entzündungshemmend, menstruationstreibend und immunstärkend –, dann liegt man gar nicht so falsch, die Engelwurz als Verkörperung des Heilsengels anzusehen. Vor allem die Fähigkeit der Angelikawurz, die körpereigene Abwehr zu stärken, ist spätestens seit den verheerenden Pestepidemien bekannt.
Allein zwischen 1342 und 1452 raffte der Schwarze Tod um die 40 Millionen Menschen dahin, das war rund ein Drittel der Bevölkerung Europas. Neben Beten und Geißelung zur Selbstbestrafung für all die Sünden, die den zornigen, aber gerechten Gott veranlassten, den Racheengel auszusenden, wandte man sich an die Pestheiligen, insbesondere an den heiligen Rochus. Der fromme Mann, ein Einsiedler aus Montpellier, war selbst von der Pest befallen, wurde aber auf wunderbare Weise geheilt. Diesem Rochus – ikonografisch mit Wanderstab, Mantel, Schlapphut und einem Hund, der ihm die Pestbeule am Schenkel sauber leckt, dargestellt – weihte man alle Pestkräuter. Als „Rochuskräuter“ gelten Vitamin-C-haltige Kräuter wie das Löffelkraut (Cochlearia officinalis) und die Rapunzel-Glockenblume (Campanula rapunculus) oder auch Duftkräuter, reich an ätherischen Ölen, wie Wacholder, Weinraute, Wermut, Knoblauch, Dill, Rosmarin, Baldrian und selbstverständlich die Engelwurz. Diese wurden als Abkochungen oder Tees eingenommen. Mit anderen Rochuskräutern – Lorbeer, Beifuß, Myrrhe, Diptam, Harz, Skabiosenköpfe und Teufelsabbiss – wurde gegen die Pest geräuchert.
Die Ärzte versuchten sich bei ihren „Sterbeläufen“ (Patientenbesuchen) vor den „pestilenzialischen Lüften“ zu schützen, indem sie sich in Wachstuchmäntel hüllten, Brillen trugen, die Taucherbrillen ähnelten,
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