Mit Pflanzen verbunden
den Großvater drauf.
Der etwas füllige, semmelblonde Häuptling der deutschen Sektion des „Bärenstammes“ wollte deswegen keinen Streit anfangen; er nahm die Großmutter einfach hin. Er bemühte sich, das Ritual, das Räuchern und die Anrufung, harmonisch und korrekt durchzuführen. Aber kaum hatte er begonnen, zog sich der Himmel zu und es fielen die ersten Regentropfen. Es wurden immer mehr. Bald regnete es so stark, dass viele Teilnehmer das Medizinrad verließen, um ins Trockene zu gelangen. Der Regen ließ nicht nach. Es regnete den Rest des Tages und die gesamte Nacht. Es tropfte durch den Rauchfang und von den Stangen der Tipis, kalte Feuchtigkeit drang in die Zelte, die Schlafsäcke saugten sich mit Wasser voll. In völlig durchnässter Kleidung nahmen die Bärenstammleute am nächsten Morgen ihr Frühstück in der Kantine zu sich. Einige hatten die ganze Nacht nicht geschlafen.
Am nächsten Morgen regnete es, bis auf kurze Unterbrechungen, munter weiter. Die Workshops im Freien, im Wald und am Fluss fielen aus. Schwer und grau drückte der Himmel und überall tropfte es. Wabun und die Indianer meinten, sie müssten etwas dagegen tun. Die spiritual leaders trafen sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit im heiligen Tipi, in dessen Mitte eine „ewige Flamme“ für den verstorbenen Sun Bear loderte. Auch ich wurde in den erlauchten Kreis eingeladen.
„Wo immer ich bin, kommt die Sonne hervor. Ich kann mit den Wolkengeistern reden. Sie hören auf mich!“, erklärte Luke Blue Eagle, der sogleich den Häuptlingssitz gegenüber dem Tipi-Eingang einnahm. Mithilfe einer Adlerfeder ließ er Schwaden des heiligen Präriebeifußqualms aufsteigen, nahm die Rahmentrommel in die Hand und sang sein Medizinlied. „Heya, heya, ya, ya, ho“ oder so ähnlich klang es. Eine beeindruckende Performance – aber ohne Wirkung! Es regnete sogar noch heftiger. Nun kam der weißhaarige alte Manitonquat an die Reihe. Auch er räucherte und sang indianische Kraftlieder. Die Wolkengeister schienen nicht beeindruckt. Im Gegenteil, nun strömte es wolkenbruchartig herab.
„Wolf“, fragten sie mich nun, „kennst du etwas, was die Regengeister beruhigt?“ Eigentlich kannte ich nichts, außer dem Gewöhnlichen Wasserdost (Kunigundenkraut, Eupatorium cannabinum ), mit dem die alten Kelten Wetterzauber betrieben haben. Das Kraut, das zufällig neben dem Tipi wuchs, war – so die Überlieferung – dem wettersensiblen Hirsch geweiht, dem geweihtragenden Cernunnos, dem Sonnengott in der Unterwelt. Nur wusste ich nicht, ob die heidnischen Kelten den Regen mit dem Kraut riefen oder ihn vertrieben, oder ob sie beides tun konnten. Es war den Versuch wert. Ich pflückte das hoch wachsende Kraut, wedelte damit in der Luft herum und steckte es neben dem heiligen Feuer in den Erdboden. Nun würde ich gern sagen können: ... und sofort hörte der Regen auf! Aber dem war nicht so.
Allgemeine Ratlosigkeit machte sich nun in der Runde breit. Da ergriff Wabun das Wort – schließlich war sie die Chefin. „Jemand sagte, hier auf diesem Platz sei einst ein Lager der Hitlerjugend gewesen“, sprach sie in bedeutungsvollem Ton. „Wir bringen Licht und gute Energie, aber die Geister der Nazis wollen das verhindern. Diese bösen Geister beabsichtigen, uns mit dem Unwetter zu vertreiben.“ Diese Erklärung schien den Anwesenden einleuchtend und zeugte von ihrer hohen spirituellen Begabung – das tat dem Regen aber keinen Abbruch. Mir schien die Erklärung ohnehin etwas weit hergeholt.
Ich hatte ja von den Cheyenne gelernt, dass ein Ritual, das die Geistwesen einem Medizinmann in seiner Vision kundtun, nie und nimmer, auch nicht im geringsten Detail, abgeändert werden darf. Ein Ritual setzt Kräfte in der Geisterwelt in Bewegung, die dann ganz konkrete Auswirkungen in der alltäglichen Wirklichkeit haben. Auch wenn man noch so gute Absichten hat, darf man nicht einfach das von den Manitus (Gottheiten) festgelegte Ritual ändern. Man darf nicht nach Gutdünken und aus politischer Korrektheit einen „Großmutterstein“ auf den Großvaterstein legen. Dadurch wird die ursprüngliche ruhende Mitte, die Ureinheit, geteilt, so dass polare Spannung und Zwietracht möglich werden. Aber „ho“, Wabun hatte gesprochen! Sie duldete keine Widerrede.
Es erschien mir wie die Bestätigung meiner Vermutung, dass Wabun irgendwie falsch liegen könnte, als mir am nächsten Tag der Meister der Heilpflanzenkunde, Sepp Ott, begegnete. Er habe vernommen,
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