Mit Pflanzen verbunden
und das Gesicht mit Schnabelmasken verhüllten. In den „Schnäbeln“ glimmten Wacholder und andere Kräuter mit ätherischen Ölen – eine vernünftige Maßnahme, denn die ätherischen Öle hemmen die Bakterien. Der kräuterkundige Leibarzt des Kaisers, Peter Matthiolius (1500–1577), der selbst Pestopfer wurde, empfahl den „Schnabeldoktoren“, zusätzlich ein Stück Engelwurz in den Mund zu nehmen und darauf zu kauen. Auch Paracelsus empfahl die Engelwurz als Prophylaxe, ebenso wie der Brite Peter Hotton, „weil diese dem Würgeengel der Pest gewaltig widersteht“.
Eine Sage aus jenen Zeiten berichtet von Leichenfledderern, vier an der Zahl, die in Südfrankreich ihr Unwesen trieben und über viele Jahre hinweg die Pesttoten ausraubten und dabei Schätze anhäuften. Endlich wurden die Räuber gefasst und dem königlichen Magistrat überführt. Sie waren des Todes. Aber ehe man sie hinrichtete, wollten die Ärzte und Gelehrten wissen, wie es überhaupt möglich war, Pestopfer auszurauben, ohne sich selbst dabei anzustecken. Man stellte die Übeltäter vor die Wahl: Entweder sie verrieten ihr Geheimnis, dann würde man ihnen einen schnellen, gnädigen Tod mit dem Fallbeil gewähren; im Fall der Aussageverweigerung würden die Henker ihren Tod dagegen auf grausamste Weise hinauszögern. Sie verrieten ihr Geheimnis: Vor jedem Raubzug rieben sie sich mit Kräuteressig ein und tranken zudem einige Schlucke davon. Der Essig enthielt eine gute Portion Angelika sowie andere Kräuter mit ätherischen Ölen.
Das Geständnis sprach sich vor allem bei den geschäftstüchtigen Apothekern schnell herum – vielleicht war es die Apothekerzunft selbst, die diese Geschichte als eine Art Werbegag in Umlauf brachte. Auf jeden Fall warteten nun die Apotheker mit dem „Vier-Diebe-Essig“ auf, wobei fast jede Apotheke ihr eigenes Rezept hatte. Ein französisches Rezept enthielt zum Beispiel neben Angelika noch Wermut, Raute, Wacholderbeeren, Lavendel, Rosmarin, Kalmus, Zimt, Muskat, Nelken und Knoblauch. Ein Rezept aus Baden enthielt 60 g Rosmarin, 60 g Salbei, 60 g Pfefferminz, 1,5 g Gewürznelken, 1,5 g Zitwerwurz (Curcuma zedoaria) und 20 g Engelwurz, die in einem Liter Weinessig mazeriert wurden.
Ein weiteres Mittel, ein Gegengift und Allheilmittel, hatten die Pharmazeuten und Apotheker gegen den „Würgeengel der Pest“ zur Hand. Es war der Theriak (vom griechischen theriakon, ther = „wildes Tier“) oder „Mithridates gülden Ei“, das ursprünglich gegen den Biss giftiger Tiere entwickelt worden war. Es enthielt um die 70 verschiedene Zutaten, wobei die Engelwurz, die sogar den Namen „Theriakwurzel“ trägt, ein wichtiger Bestandteil war. 2 Noch im 18. Jahrhundert mussten die Apotheker einmal im Jahr auf dem Marktplatz in aller Öffentlichkeit ihren Theriak herstellen. Die Ratsherren und Richter schauten zu, dass auch ja nicht bei den teuren Gewürzen und Zutaten gespart wurde. Erst 1882 wurde der Theriak aus der Liste der offiziellen Arzneimittel gestrichen. In der Volksmedizin lebt der Theriak jedoch fort. Die „Schwedenbitter“, die auch Engelwurz enthalten und die durch Maria Treben (1908 bis 1991) populär geworden sind, entstammen dieser Tradition.
Dass die Engelwurz die körpereigene Abwehr stärken und Ansteckung vereiteln kann, wusste auch der Schweizer Kräuterpfarrer Johann Künzle. Bei der weltweiten Grippeepidemie, die im Winter 1918, nach der Hassorgie des Ersten Weltkriegs, fast so viele Opfer forderte wie der Krieg selbst, behandelte Pfarrer Künzle seine Gemeinde prophylaktisch mit Engelwurz. Kein Einziger, der von ihm damit behandelt wurde, starb an der Seuche. Der bärtige Kräuterpfarrer war überzeugt, dass die Engelwurz nicht nur Ansteckung vorbeuge, sondern auch bei Vergiftungen (Schlangenbiss, verdorbene Speisen, Tollkirschenvergiftung usw.) helfe (Künzle 1945: 382). Bei Bronchitis empfahl er Engelwurz mit Feld-Thymian (Quendel), bei Leber- und Galleleiden Engelwurz mit Silberdistel (Karlsdistel).
Wo immer sie wächst, überall ist sie eine der wichtigsten Heilpflanzen. Die Indianervölker des Südostens kultivierten die Engelwurz (Angelica atropurpurea) neben Amarant, Mais, Bohnen, Kürbis und Tabak sogar in ihren Gärten. Auch bei ihnen galt sie als Allheilmittel. Sie kauten die Wurzel bei Erkältung, Fieber und Magenverstimmung, rieben sich bei Schlangenbissen ein, rauchten sie getrocknet mit Tabak bei Katarrh und Erkrankung der Luftwege und legten die gekochte,
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