Mit Pflanzen verbunden
Engelwurz oder Nelkenwurz. Keiner Pflanze sei der Teufel näher, warnte Hildegard von Bingen. In der Aura der Tollkirsche, der Dolo (aus dem germanischen dol = „töricht, wahnsinnig“), gewahrte die Seherin kleine schwarze, mit lederigen Fledermausflügeln umherflatternde Teufelchen. Einzig heidnische Zauberer und mächtige Magier vom Kaliber eines Merlin oder Mephisto wussten die mystischen, magischen und dämonischen Kräfte der Pflanze zu schätzen. Vermutlich gehörte im alten Griechenland das Giftgewächs zum Kult des Rauschgottes Dionysos. Berauscht vom Wein, der mit Tollkirschsaft versetzt war, rasten die ihm anheim gefallenen lüsternen Satyrn und wilden Weiber, die Mänaden, „mit weit aufgerissenen Augen“ durch die Wildnis.
Auch im Norden kannte man die Tollkirsche. Einige Benennungen deuten darauf hin, dass sie einst zum Kult des Schamanen- und Zaubergottes Odin gehörte. Die Odingeweihten benutzten bewusstseinsverändernde Botanika, um die dunklen Abgründe der Seele zu erkunden. Im Dänischen heißt die Tollkirsche Galbeere , von germanisch galen („Zauberlieder singen“, gala = Zaubergesänge, Nachti gal = ein Vogel der nachts bezaubernde Lieder singt). Galsterer hieß bei den Germanen der Schamane, der durch Zaubergesang die Wirklichkeit verändern, heilen oder schädigen konnte. Galster-Vater war einer von Odins Namen. Wutbeere , Wutkirsche sind weitere Benennungen. Wut hatte damals eine andere Bedeutung als heute. Wôth bezeichnete die „rasende Ekstase“, die Be geist erung, die Besessenheit, inspiriertes Singen, den Rausch. Odin (Wotan, Woden, Wuotis), der Anführer des „wilden Heeres“ (das Heer der Geister und fliegenden Schamanen), war der Meister dieser „Wut“. Walkerbeere , Walkerbaum sind weitere regionale Bezeichnungen dieser Pflanze. Sprachforscher vermuten, dass sich das auf die Walküren, die schönen, fliegenden jungen Frauen, bezieht, die die Seelen der gefallenen Helden hinauf in Odins Walhalla führen.
Die antiken Völker des südeuropäischen Raumes assoziierten das Nachtschattengewächs mit Zauber, Tod und andersweltlicher Weiblichkeit. Der lateinische Name Atropa bella-donna, den Linnaeus in sein botanisches Klassifizierungssystem aufgenommen hat, spricht den Bezug an. Die Parzen sind drei Schicksalsgöttinnen, die den Lebensfaden der Menschen spinnen, messen und schneiden. Atropa , „die Unerbittliche“, ist es, die am Ende des Lebens den Faden durchschneidet.
Femme fatale
Der Name Belladonna bedeutet „schöne Frau“. Einige Sprachforscher vermuten, dass der Name sich auf die römische Kriegsgöttin Bellona bezieht; andere hingegen sind der Auffassung, dass die Bezeichnung mit der Praxis der Hofdamen der Renaissance zusammenhängt, sich mit der Hexenbeere zu schminken und schön zu machen. In kaltherziger Berechnung färbten sie mit dem roten Beerensaft ihre Wangen, um eine reizvolle Schamröte vorzutäuschen, und tröpfelten ihn, mit Wasser verdünnt, in die Augen, um die Pupillen zu erweitern. Auch wenn sie anschließend nur verschwommen sehen konnten, verlieh es ihnen einen offenen, unschuldig anmutenden Blick, der manchen mächtigen, reichen, aber dummen Mann in die Falle lockte.
Eine wahrscheinlichere Erklärung für den Namen ist, dass der Pflanzengeist selbst als eine betörend schöne Frau, als unwiderstehliche Verführerin, in der Vision erscheinen kann. Ein bekannter Schauspieler erzählte mir einmal von seiner Begegnung mit der bella donna, der schönen Frau. Es war gegen Ende der sechziger Jahre, als die Hippies und Blumenkinder mit Schlafsack und Gitarre in ganz Europa unterwegs waren. Mit seiner Freundin war der damals noch unbekannte Mime per Anhalter nach Frankreich getrampt. In einer bewaldeten Region, irgendwo im gebirgigen Zentralmassiv, stießen sie auf eine fröhliche Gruppe Gitarre spielender, kiffender Hippies, die sie einluden mitzufeiern. Da sie wenig Geld und keine andere Unterkunft hatten, schlugen sie dort ihr Lager auf. Gegen Abend kochten die Hippies ein Kräutergebräu, das vor allem Tollkirsche enthielt. Seine Freundin weigerte sich, einen Schluck von dem Hexengebräu zu nehmen, aber der junge Schauspieler wollte kein Spielverderber sein. Außerdem war er neugierig. Er trank ein, zwei Schlucke, und da ihm darauf etwas unwohl und schwindlig wurde, entschied er sich erst einmal im Wald spazieren zu gehen. Obwohl es dunkelte, konnte er recht gut sehen. Er kam an eine Lichtung, und da saß, auf weiches Moos gebettet, ganz allein
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