Mit Pflanzen verbunden
Verantwortung trugen, und die idealistischen jugendlichen Helfer waren ebenso ausgelaugt und erschöpft wie wir. Da verheiratete Paare kaum mehr Zeit füreinander und für eheliche Freuden hatten, war es kein Wunder, dass immer wieder Ehen geschieden wurden und Paare getrennte Wege gingen. Die Kommune bot für jeden materielle Sicherheit, ein Dach über dem Kopf, Essen auf dem Tisch und nicht zuletzt auch eine Auswahl an Partnern zur unverbindlichen sexuellen Befriedigung. In einer derartigen Situation waren Paare nicht mehr aufeinander angewiesen. Die althergebrachte „bürgerliche“ Paarbeziehung habe in dieser zukunftsweisenden Kommune ausgedient, erklärte die „Chefin“ der alten Damen, die auch über die Gemeinschaftskasse herrschte und das Taschengeld austeilte. Die frei fließende sexuelle Energie wurde gezielt als Mittel eingesetzt, um die Menschen an die Gemeinschaft zu binden. Dieses Ziel verfolgend, knüpfte sich der Gemeinschaftspriester mich einmal vor und ließ mich wissen, ich sei in seinen Augen ein spirituell entwickelter Mensch, aber leider sei meine Frau in dieser Hinsicht dumpf und unentwickelt. Ich solle mich besser von ihr trennen, damit sie meinen spirituellen Fortschritt nicht weiter behindere.
Ganz gezielt platzierten die alten Damen und der „Seelsorger“ die neuen Hilfskräfte – Praktikanten, Studenten, auch junge, gestrandete allein erziehende Frauen mit Kleinkindern oder durchreisende Hippies – in bestimmten Haushalten. Und wie erwartet gerieten früher oder später die Hormone in Wallung und Leidenschaften entflammten. Es kam zu Krisen, in denen die Chefin der alten Damen als Ratgeberin fungierte. Ihr Rat lautete immer: „Trenne dich von der alten Bindung. Deine Aufgabe ist es, die Nächstenliebe zu lernen und den behinderten Mitmenschen zu helfen.“ Oft verließ einer der Partner das Dorf, manchmal aber zog er einfach in ein anderes Haus. Manche der so Geschiedenen entwickelten sich – ganz im Sinne der „Sekte“ – zu regelrecht sexbessenen Satyrn oder Nymphen. Sie wurden Werkzeuge einer Sexualmagie, die immer wieder neue Leute an die „Sekte“ zu binden vermochte.
Auch in unseren Haushalt wurde eine Praktikantin, Mitte zwanzig und ungebunden, eingeschleust. Die junge Frau war sympathisch und anständig und tat ihr Bestes, die schwierige Arbeitslast mitzutragen. Das Zimmer für die Praktikanten befand sich neben unserem und ihr Bett, nur durch eine dünne Wand getrennt, unmittelbar neben unserem Bett – auf meiner Schlafseite. Nacht für Nacht lag sie wenige Zentimeter von mir entfernt. Nachts im Schlaf wandern die Seelen und fließen ineinander über. Ich konnte ihr natürliches Verlangen spüren. Auch in mir keimte eine Zuneigung und wuchs immer stärker zu Verlangen heran. Ihre jungfräuliche Weiblichkeit zog mich in ihren Bann. Ich wusste nicht, ob meine überarbeitete, erschöpfte Frau dies merkte. Ich wusste nur, dass sie traurig würde, wenn ich mit der anderen schliefe. Es würde uns wahrscheinlich ebenso auseinander sprengen, wie es bei vielen anderen schon der Fall gewesen war.
Es ließ mich nicht los. Warum nahm ich sie mir nicht einfach und erfüllte ihre und meine Sehnsüchte – das wäre doch eine ganz natürliche Angelegenheit gewesen. Waren es die puritanischen Moralvorstellungen, die mir in meinen frühen Jahren im amerikanischen Mittelwesten, dem konservativen Bible belt, eingeimpft worden waren? War es die Prägung durch meine altmodischen, evangelisch gläubigen Eltern? Öffnete sich hier nicht die Tür, die mich von Verklemmungen befreien würde? Lief da nicht gerade die so genannte sexuelle Revolution? Hat nicht die Psychoanalyse bewiesen, das sexuelle Repression Ursache von Gewalt, Hass, Krankheit, Faschismus und dergleichen ist? Ich fühlte mich wie in einen Strudel hineingezogen – Leiden schaft eben. Arthur Hermes würde mir den richtigen Rat geben können! Doch als ich ihn bei der nächsten Gelegenheit fragte, sagte er schlicht: „Das ist die Versuchung!“
Das war kein Trost. Warum hatte er nicht gesagt: „Gib dich dem natürlichen Fluss der Dinge hin, nimm sie dir, genieße die Wonne der Lust!“ – dann wäre alles einfacher gewesen. Er hatte ja selbst auf seinen Reisen mehrere uneheliche Kinder gezeugt. Nach einigen Monaten der Qual verließ die junge Frau das Dorf, und nicht lange danach gingen auch wir.
Unser Aufenthalt hatte tatsächlich dazu beigetragen, dass die Macht der alten Damen geschwächt wurde und die jüngeren
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