Mit Pflanzen verbunden
Damals besuchte ich einen amerikanischen Freund in Genf, der in einer sonderbaren esoterischen Dorfgemeinschaft arbeitete, in der geistig Behinderte und psychisch Kranke betreut wurden. Er führte mich in den Garten und zeigte mir eine Hirschblase, die da wie ein Voodoo-Fetisch an der Dachrinne des Gartenhauses hing. Sie war mit Schafgarbenblüten vollgestopft. Der merkwürdige Gegenstand stellte für ihn ein Problem dar; er rüttelte an seinem rationalen, pragmatischen amerikanischen Weltbild.
„Du bist Ethnologe. Du kennst dich doch in diesen Dingen aus? Ist das Zauberei oder was?“, fragte er und erzählte von weiteren merkwürdigen Begebenheiten im Dorf. Ich konnte ihm keine befriedigende Antwort geben und reiste am selben Tag nach Wien weiter, denn das Semester hatte dort schon angefangen. Die Schafgarbe in der Hirschblase ließ mich jedoch nicht los. Das Rätsel stand nun auch vor meiner Seele. In den folgenden Nächten träumte ich sogar von der Schafgarbe, der ausgestopften Hirschblase und dem seltsamen Dorf. In mir formte sich der Gedanke, dass dieses Dorf ein gutes Forschungsprojekt abgeben würde. Ich hatte Feldforschungen über die Struktur und Dynamik kleiner utopischer Gemeinden – Spiritistensiedlungen und Hippiekommunen – gemacht, und diese Dorfgemeinschaft würde sich in meine Studien gut einreihen. Also schrieb ich einen Brief, dass ich gern für ein Jahr im Garten der Gemeinschaft tätig wäre. Dass ich die Gemeinschaft als Sprungbrett für meine weitere Völkerkundlerkarriere nutzen wollte, schrieb ich nicht.
Aber von wegen einfache Feldforschung! Der Ort, von den Einheimischen auch Champs des Morts (Totenfelder) genannt, wurde zum Schicksalsort für mich. Ich entdeckte meine Leidenschaft für das Gärtnern und die Natur wieder und konnte mich aus den Fesseln einer viel zu eng gefassten, seelenlosen Wissenschaft befreien. Ich wurde wieder wild und frei, lief barfuß herum und ließ mir die Haare wachsen. Die Tiere fingen wieder an, mit mir zu „reden“, die Naturgeister traten mir wieder nahe, und selbst der Sternenhimmel ordnete sich für mich, so dass ich die Konstellationen und den Wandel der Planeten in ihrem Einklang mit dem Werden und Vergehen in der Natur erkennen konnte. Zugleich begegnete ich hier meiner Seelengefährtin. Und immer war die Schafgarbe in irgendeiner Form präsent. Der Gärtnermeister Manfred Stauffer ließ sie in den Obstzeilen zwischen den Gemüsebeeten absichtlich wachsen, und als ich diesem „Unkraut“ in meiner Freizeit mit der Sense zu Leibe rückte, schimpfte er mit mir: „Die Schafgarbe hat hohe Schwingungen, die sie über den gesamten Garten ausstrahlt! In ihr findet ein Schwefelprozess statt, der ätherische Bildekräfte an den Garten vermittelt ...“ Zu den Mahlzeiten gab es, anstelle von Schwarztee oder Kaffee, immer den leicht bitter-aromatischen Aufguss der Schafgarbe. Die Frau des Gärtners sagte dazu, dieser Tee verbinde den Astralleib mit dem Ätherleib – auf deutsch: die Seele mit dem Körper. Inzwischen hatte ich auch erfahren, was die mit Schafgarbenkraut gefüllte Hirschblase zu bedeuten hatte: Sie sammle im Sommer die Information, die von der Venus ausgehe, und vermittle sie dann, als Kompostpräparat, dem Humusboden. Auch wenn ich mir darunter (noch) nichts vorstellen konnte, fand ich es interessant.
Der Garten nahm mich ganz gefangen und aus dem einen Jahr Feldforschung wurden zweieinhalb Jahre Naturmeditation. 2 Immer weniger interessierte mich die soziale Dynamik der Dorfgemeinschaft. Ich registrierte, dass es Spannungen gab – aber das ist in solchen alternativ konzipierten Gemeinschaften nichts Ungewöhnliches. Jede Gemeinschaft versucht ständig Strukturen zu finden, die ein harmonisches Zusammenleben ermöglichen sollen. In diesem Fall war es der Conseil du Village , der den Konsens herstellen sollte. An jedem Donnerstagabend, dem Tag des weisen Jupiter, saßen alle verantwortlichen Dorfmitglieder im Kreis und berieten sich. Jeder durfte seine Ansicht mitteilen. Um spaltende Fraktionen zu vermeiden, wurde nicht abgestimmt, sondern so lange diskutiert, bis alle Einwände ausgeräumt waren und eine von allen getragene, einstimmige Entscheidung möglich wurde. Schöne Theorie! Selten aber führten die zermürbenden Gesprächsrunden zur Einstimmigkeit. Ich beteiligte mich wenig; übermüdet von der langen, harten Arbeit konnte ich kaum folgen und schaute lieber den Fliegen bei ihren Flugkünsten zu. Zuletzt sprach immer eine
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