Mit Pflanzen verbunden
Nach der Konfrontation mussten wir frische Luft schnappen. In dem Augenblick, in dem wir die Tür aufmachten, stürzte sich ein Marder auf die Gänse, die vor dem Haus grasten, zog sich aber blitzschnell zurück, als er uns sah. Das entsprach genau unserer Situation. Die Natur spiegelt immer die Emotionen der Menschen – das hat schon Arthur Hermes gesagt.
Wir waren von der schweren Arbeit immer erschöpft. „Unsere“ Behinderten saugten viel Energie aus uns. Das Leiden der Kranken liegt darin, dass sich ihre Seelen – die unsterblich und göttlich sind wie jede Seele – im gegenwärtigen Leben nicht vollständig inkarnieren können. Sie haben weder ihren Körper noch ihren Geist voll im Griff, sind unmündig und wegen ihrer Schwäche oft von irgendwelchen Geistern oder Dämonen besessen. Dennoch waren sie lieb und unkompliziert. Viel schwieriger war es dagegen, mit einigen verschrobenen Mitarbeitern, insbesondere den alten Damen, auszukommen. Und diese wurden zunehmend sauer auf uns.
Eine junge Mitarbeiterin aus Schottland kam eines Tages aufgeregt zu mir. In der vergangenen Nacht, erzählte sie, habe sie nicht schlafen können und einen Spaziergang durchs Dorf unternommen. „Es war gegen Mitternacht. Nichts rührte sich, alles schlief. Nur in den Häusern, in denen die alten Damen wohnen, brannte Licht.“ Als sie neugierig durch die Fenster geschaut habe, habe sie jeweils eine der alten Damen bei brennender Kerze sitzen sehen – in einem Zustand, der ihr wie Totenstarre vorkam. Ihr gruselte. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte sie mich. Später wurde mir klar, was die Damen da jede Nacht taten: Sie befanden sich in Trance. Ihr klumpfüßiger Meister hatte ihnen beigebracht, wie man auf Astralreise geht und dabei heimlich die Seelen der schlafenden Behinderten und vor allem die der Mitarbeiter bearbeitet.
Wir waren von morgens bis abends voll eingespannt, so dass nur starker Kaffee uns einigermaßen munter halten konnte. Meine Nase tropfte ständig, ein sicheres Zeichen dafür, dass ich kaum mehr Reserven hatte. Meiner Frau ging es genauso. Auch wenn wir sonst keine Zeit mehr füreinander hatten, so nahmen wir sie uns dennoch – egal wie müde wir waren –, um vor dem bleiernen Schlaf einige Schritte unter dem Sternenhimmel durchs Feld oder am Waldrand entlangzugehen. Öfters kam es uns vor, als würden uns unsichtbare Augen beobachten. Manchmal brach ein Zweig über uns und schoss wie ein Geistergeschoss gezielt auf uns herab. Es ging nicht mit rechten Dingen zu. Eines Nachts sah ich hoch oben auf der Gardinenstange des Speisesaals eine Eule. Keine wirkliche, sondern eine eulenförmige Astralgestalt. Hätte ich damals schon von Räucherungen mit Wacholder und Beifuß gewusst, ich hätte sofort geräuchert. Aber mir kam das Johanniskraut in den Sinn, eine Pflanze voller hoher Lichtenergie, eine heilige Pflanze, wie mir unser Freund, der alte weise Bergbauer Arthur Hermes, erklärt hatte. Ich pflückte das Johanniskraut (Hypericum perforatum) , das einst Fuga daemonum, „fliehe, Dämon“, genannt wurde, und hängte Sträuße davon über alle Eingänge. Die Maßnahme verfehlte ihre Wirkung nicht: Ab sofort sah ich keine Astraleulen mehr, und der Dorfpriester, der Laufbursche der alten Damen, sprach mich scheinheilig an: „Jeden Abend bete ich für alle im Dorf. In jedem Haus sehe ich ein spirituelles Lämplein brennen. Nur bei euch ist es dunkel, ich sehe kein Licht in eurem Haus.“ Halleluja, dachte ich bei mir, diesen Hexern ist der Eintritt verwehrt.
Ab und zu verließ der alte Waldweise und Bauernphilosoph Arthur Hermes seinen Einödhof hoch oben im waadländischen Jura und stattete uns einen Besuch ab. Für die jungen Praktikanten und Mitarbeiter war das immer ein freudiges Ereignis. Man legte ihm alle Probleme zu Füßen und immer wusste er Rat. Er schöpfte aus neunzigjähriger Lebenserfahrung und hatte meditativ die Höhen und Tiefen des Geistes durchwandert. Ihm blieb nicht verborgen, was sich im Dorf hinter den Kulissen abspielte. Er durchschaute die alten Damen und wusste, dass es vor allem ihre Angst war, die sie dazu verführte, geistige Kräfte zu missbrauchen. Die Alten spürten, dass er ihr Spiel durchschaute. Er verführe die jungen Leute mit seinen Ideen, hieß es, und kurz darauf wurde ihm durch eine „einstimmige“ Entscheidung des Conseils untersagt, das Dorf zu betreten.
Die anderen Mitarbeiter, die nicht zum inneren Kreis gehörten, die „Hauseltern“, die die Last der
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