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Mit Pflanzen verbunden

Mit Pflanzen verbunden

Titel: Mit Pflanzen verbunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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ältere Dame das Machtwort und entschied die Angelegenheit.
    Diese Dame gehörte zu einem Kreis von fünf älteren Frauen, die den Kommunengründer, einen Charismatiker mit Klumpfuß, persönlich gekannt hatten. Böse Zungen im Dorf behaupteten, sie gehörten zum Kreis seiner Geliebten oder seien noch immer psychisch von ihm abhängig. Der Bauer, der für die Landwirtschaft zuständig war, schimpfte darüber, dass die grauhaarigen Jungfern eine Mafia bildeten, die alle Entscheidungen im Voraus träfe. Er war verärgert, weil die alten Damen beschlossen hatten, Hunde aus dem Dorf zu verbannen, da sie angeblich den Behinderten Angst machten. „Dabei sind nur sie es, die Angst haben; außerdem gehört zu einem Bauernhof einfach ein Hund!“ Als es dann hieß, Schweine seien unreine Tiere und sollten ebenfalls verschwinden, und die Kühe dürften, wegen der Kuhfladen, nicht mehr die Dorfstraße entlanggetrieben werden, packte der Bauer samt Familie seine sieben Sachen und verließ das Dorf. Auch der Gärtnermeister war nicht zufrieden: „Diese Damen missbrauchen die Anthroposophie für ihre sektiererischen Zwecke. Das hat mit der Lehre Steiners nichts mehr zu tun.“ Ich hielt mich aus den Auseinandersetzungen heraus, denn mich interessierten nur der Garten und die ungewöhnlichen Aussagen Rudolf Steiners über die Natur. Aber zuletzt gingen wir auch.
    Sieben Jahre später, gegen Ende September, zu der Zeit im christlichen Kalender, in der der Erzengel Michael gegen den Drachen kämpft, waren wir wieder da. Jüngere Mitarbeiter hatten uns gebeten wiederzukommen. Sie hatten es uns nicht direkt gesagt, aber sie planten einen Aufstand gegen die „Altweibermafia“ und brauchten uns als zusätzliches Gewicht. Wir kamen gerade an, als die Vorbereitungen für ein Michaelis-Mysterienspiel getroffen wurden. Ich sollte als Ritter Georg verkleidet auf einem Ackergaul zum Dorfplatz reiten und einen feuerspeienden Lindwurm besiegen, dessen Beine von etwa fünfzehn im Balg versteckten Dorfbewohnern bewegt wurden. Wenn man zu Beginn einer neuen Lebensphase an einen neuen Ort kommt, dann sollte man Acht geben, denn die ersten Begegnungen und Ereignisse haben orakelhafte Qualität. Es schien wirklich darum zu gehen, das Dorf von einem „Drachen“ zu befreien.
    Wir wurden im Haus mit den schwierigsten Behinderten „Hauseltern“. Wir hatten das Haus gewählt, weil es bis zu unserer Ankunft von einer der alten Damen geführt wurde, die man wie eine Heilige verehrte – eben weil sie die schwierigsten Fälle betreute. Arme Geschöpfe waren das, die ab und zu ausrasteten, im Hausflur ihre Häufchen hinterließen, öffentlich masturbierten, Fensterscheiben leckten und andere Anstößigkeiten begingen. Die Alte war Krankenschwester und leitete auch die „Dorfklinik“. Wir hatten gehofft, von ihr viel über Heilpflanzen zu erfahren. Bald jedoch wurde uns klar, dass sie kaum Heilinspirationen besaß.
    Auch ihr Ruf als Heilige geriet in unseren Augen rasch ins Wanken. Sie beherrschte eine ganz raffinierte Methode, um betuchten oder politisch mächtigen Besuchern zu imponieren. Meistens lud man diese potenziellen Geldgeber gerade in ihr Haus zum Essen ein. Und meistens erlitten die Gäste angesichts der kleinen „Monster“ einen Schock, so dass sie kaum einen Bissen hinunterwürgen konnten. Neben der „heiligen“ Dame, die am Ende der Tafel saß, stand die Zuckerdose. Sie war es, die den Zucker für den Kräutertee austeilte. Waren wichtige Besucher da, dann hielt sie den Zucker zurück, was zur Folge hatte, dass es zu heftigen Zornesausbrüchen seitens der schwer zuckersüchtigen Pfleglinge kam. Mit sanfter Stimme sprach sie dann auf die tobenden Schreihälse ein, während sie, ohne dass es die Besucher merkten, den Löffel in die Dose tauchte, und schon war der schreckliche Anfall vorüber. Da staunten die Gäste über ihre Fähigkeit, Frieden zu stiften. Nur eine Heilige könne so etwas. Nach diesem Erlebnis waren sie dann gern bereit, dem Dorf eine großzügige Spende zukommen zu lassen.
    Nach einigen Wochen ließen wir „unsere“ alte Dame wissen, dass wir das Haus selbstständig führen wollten. Wir waren ja als „Hauseltern“ angetreten und wollten eigenverantwortlich arbeiten. Auch nervte es, wenn sie mich vor den Mahlzeiten aufforderte: „So, Wolf, du bist Hausvater, du darfst nun das Gebet sprechen.“
    Es gab eine Auseinandersetzung, und danach erklärte sie sich bereit, in einen anderen Teil des Hauses umzuziehen.

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