Mit Pflanzen verbunden
Mitarbeiter endlich zum Zuge kamen. Unser weiterer Weg führte uns nach Indien. Gleich in der ersten Woche befiel mich das Dengue-Fieber – eine üble Virenerkrankung, die den Schweiß literweise aus den Poren treibt, sämtliche Knochen schmerzen lässt und im Geist Halluzinationen erzeugt. Noch glaubte ich an die objektive Überlegenheit der westlichen Schulmedizin, ließ einen in England ausgebildeten Arzt kommen und schluckte brav die verschriebenen Antibiotikapillen. Das Resultat war eine Superinfektion in der Vorsteherdrüse, dem „Hirn“ der männlichen Sexualität. Irgendwie hatte es so kommen müssen, zu viel Energie war im vergangenen Jahr auf das Wurzel-Chakra gerichtet worden. Was da seelisch als Verlangen seinen Anfang nahm und energetisch zum blockierten Trieb wurde, setzte sich nun im Körper als physisches Leiden fest. Das Organ schmerzte und tröpfelte unablässig. Adi, ein befreundeter österreichischer Arzt, der in Varanasi die altindische Heilkunde (Ayurveda) studierte, nahm sich meiner an und riet mir, das Leiden mit einem chirurgischen Eingriff beenden zu lassen, sobald ich wieder im Westen sei.
Angezauberte Liebe
Knapp zwei Jahre später landeten wir wieder in Amerika, aber zum Arzt ging ich nicht. Die Schafgarbe, eine Pflanze der Venus, der Göttin der Liebe und Lust, winkte mir und versprach Heilung, obwohl das Kraut vor allem als Frauenheilkraut gilt. Supercilium veneris, „Augenbraue der Venus“, nannte man sie einst wegen ihrer hübschen, filigranen, vielfach gefiederten Blätter und als Hinweis auf die Göttin, die die Fortpflanzungsorgane im Körper beherrscht. Sie hilft tatsächlich bei allen möglichen Unterleibsbeschwerden: Sie wirkt krampflösend bei schmerzhafter Regel und verspanntem Unterleib, stillt zu lange oder zu starke Monatsblutungen, heilt Eierstockentzündungen und Ausfluss (Weißfluss, flor albus ). Ein Spruch aus der Volksmedizin besagt: „Schafgarbe im Leib tut wohl jedem Weib.“
Aber ich wusste, das Kraut der Venus würde auch bei einem Mann die Wunden heilen helfen, welche die Liebesgöttin zu schlagen vermag. Die Schafgarbe, die an den sonnigen Berghängen der Rocky Mountains unter tiefblauem Himmel wächst, ist besonders aromatisch und heilkräftig. An einem See, der den Cheyenne heilig ist und an dessen Ufer die Indianer sitzen und in die Geisterwelt hineinblicken, habe ich das blühende Kraut gesammelt (Storl 2000: 77). Tag für Tag überbrühte ich eine Hand voll Schafgarbe und goss den Sud als Badezusatz in die Sitzwanne. Am Anfang schien das heiße halbstündige Schafgarbensitzbad nicht viel zu bewirken. Aber nach einigen Wochen spürte ich eine deutliche Besserung. Nach einigen Monaten war das Leiden schließlich, dank der Schafgarbe, verschwunden. Ohne Symptomunterdrückung, ohne chirurgischen Eingriff war es vollständig ausgeheilt.
„’s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster: Wo sie hineingeschlüpft, da müssen sie hinaus“ (Goethe, „Faust“, Studierzimmer). Dieses alte magische Gesetz, das Mephistopheles dem Doktor Faust verrät, passt auch hier. Es war tatsächlich vor allem die Schafgarbe, die mich in dieses vielschichtige Abenteuer gelockt hatte, und sie war es auch, die mich anschließend von den daraus entstandenen Verletzungen heilte. Somit ist auch diese Pflanze eine Lehrerin meiner Seele.
Was ich erlebt hatte, kannte man in früheren Zeiten als „angezauberte Liebe“. Christliche Bußbücher sprechen von „frevelhaftem und gefährlichem Liebeszwang“. Um diesem entgegenzuwirken gab es verschiedene Schutzmaßnahmen: Das am Johannistag gesammelte und als Amulett getragene blühende Hartheu, wie das Johanniskraut auch genannt wird, soll vor angezauberter Liebe schützen. Ein Arzneibuch von 1499 empfiehlt „Johannisblumen“ demjenigen, „der nit schlafen mag von der poulschaft (Buhlschaft) wegen“. Johanniskraut kann den Gewittersturm 3 ebenso bannen wie die Stürme der Leidenschaft. Aber auch andere Pflanzen, wie Dost (Origanum vulgare) , Alant (Inula helenium) und das Widertonmoos (Polytrichum commune) , das „wider dem Tun“ der Hexen wirkt, hätten den Zauber gebrochen, doch das wusste ich damals noch nicht.
Im Rückblick ist es klar: Die alten Damen waren Zauberinnen. Sie verstanden es, andere Menschen für ihre Anliegen einzuspannen. Selbstverständlich sahen sie ihre Ziele als moralisch erhaben an; sie arbeiteten daran, das Gute und das Liebe in der Welt zu verwirklichen und den behinderten Mitmenschen ein
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