Mit Schimpf und Schande
Harrington.«
Honors Kabine besaß kein Bullauge, aber sie hatte ihr Comterminal in die Vorausbeobachtung der Agni eingeklinkt. Nun saß sie mit den Händen im Schoß schweigend vor dem Bildschirm und beobachtete, wie das Schiff mit dem Bug voran in den Liegeplatz einfuhr.
Sie fühlte sich innerlich … leer. Leerer als der Wind oder selbst der Weltraum, leergesogen durch die stille Unterströmung der Entropie. Sie hörte, wie MacGuiness sich leise hinter ihr bewegte, spürte Nimitz, der sich auf der Rückenlehne ihres Stuhles streckte und Liebe wie Sorge ausstrahlte, und in ihr selbst waren nur Stille und Schweigen. Der Schmerz wartete, aber sie hatte ihn in einen Panzer aus Eis geschlossen. Mit ihrem inneren Auge konnte sie ihn sehen, das Blitzen seiner rasiermesserscharfen Kanten im Inneren des Kristallgefängnisses; aber berühren konnte er sie nicht. Das durfte sie nicht zulassen, denn wenn sie ihn freiließe, würde er sie viel zu früh vernichten. Und deshalb, nicht aus Furcht, sondern wohlbedacht, hatte sie ihn eingefroren, gefangengesetzt, bis sie sich entschloß, das Eis zu zerschlagen und ihn auf sich loszulassen, und das mußte warten, bis sie Denver Summervale gestellt hatte.
Ihre Gedanken entfernten sich immer weiter, während sie, wie von Eigenleben erfüllt, Mittel und Wege ersannen. Honor wußte, daß Mike Angst um sie hatte, aber das war doch Unsinn. Nichts konnte sie jetzt noch verletzen. Sie war wie ein Gletscher, ein Ding aus Eis und Fels, das sich unaufhaltsam auf sein vorherbestimmtes Ende zubewegt … und wie von dem Gletscher würde auch von ihr nach Erreichen dieses Zieles nichts mehr übrigbleiben. Diesen Gedanken verbarg sie so tief in sich, daß sie ihn kaum noch spüren konnte, damit Nimitz ihn nur nicht las, doch lag darin eine saubere, klare Logik. Es war nur gerecht – und unausweichlich.
Ich hätte mir nicht gestatten dürfen, mich in Paul zu verlieben , dachte sie reserviert. Ich hätte es besser wissen müssen. Einerseits wünschte sie sich, sie hätten mehr Zeit miteinander verbringen können, bevor die Falle zuschnappte, aber das Ende war im Grunde doch vorherbestimmt gewesen. Seine Liebe zu ihr hatte ihn zum Untergang verurteilt; das wußte sie seit dem Augenblick, indem sie Mike genügend unter Druck gesetzt hatte, um von ihr Summervales letzte Beleidigung zu erfahren – die Beleidigung, die Paul die Beherrschung verlieren ließ. Mike hatte es ihr nicht sagen wollen. Sie hatte sich gewehrt, obwohl sie doch wissen mußte, daß Honor am Ende doch davon erfahren würde. Und deshalb hatte sie schließlich auch nachgegeben und Honor alles offenbart, mit abgewandtem Blick, unfähig, ihr in die Augen zu sehen. Noch immer wußte Honor nicht, warum ein vollkommen Fremder den Streit mit Paul gesucht hatte, aber sie war die schwache Stelle in seiner Rüstung gewesen. Sie war von Summervale benutzt worden, damit er an Paul herankommen konnte, ihn in Wut versetzen und … töten. Und deshalb würde sie Summervale töten. Dann würde all ihr nutzloser Reichtum doch noch einem Zweck dienen, denn notfalls würde sie alles dazu verbrauchen, um Summervale aufzuspüren.
Ein kälterer, noch heftigerer Schmerz durchfuhr sie, und sie hieß ihn willkommen. Sie verleibte ihn ihrem Panzer ein, baute die eisigen Mauern noch höher und dicker, um den Schmerz nur noch ein wenig länger im Zaum zu halten. Gerade lange genug, um das letzte zu tun, was jemals eine Rolle für sie spielen würde.
Honor sieht schon besser aus , versicherte Henke sich, als sie deren Kabine betrat, und sie belog sich damit nicht einmal – nur war das schon alles. Honors Gesicht trug zwar nicht mehr diesen gebrochenen, geradezu zerschmetterten Ausdruck, dennoch wirkte es nach wie vor maskenhaft. Jedesmal, wenn Henke darüber nachdachte, was sich hinter dieser Maske verbarg, durchzuckte sie seelische Pein, und sie brauchte nur Nimitz anzusehen, um zu erfahren, worum es sich bei diesem Verborgenen handelte. Der Baumkater wirkte nicht mehr abgezehrt und zum Sprung angespannt, aber sein rascher, eifriger Schalk war aus ihm verschwunden; seine Ohren hoben sich nie aus der halb angelegten Stellung, und eine eigenartig bedrohliche Aura umgab ihn wie ein Echo des Gefühls, das, wie Henke sehr wohl wußte, Honor erfüllte. Sie spiegelte die Kälte wider, der Honor nicht entweichen konnte, und wirkte fremd gegenüber allem, was Henke je an ihm wahrgenommen hatte. Noch schlimmer aber war wohl die Art, wie er Honor bewachte.
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