Mit Schimpf und Schande
meldete der Marineposten.
»Ich will nicht …« Sie unterbrach sich. Sie wollte Ramirez nicht gegenübertreten müssen. Er war Pauls Sekundant gewesen, und sie kannte ihn einfach zu gut. Sie wußte, daß er sich die Schuld an Pauls Tod gab und von ihr erwartete, daß sie seine Selbstverurteilung bestätigte. Das würde sie keinesfalls tun, aber sich mit seinen Schuldgefühlen zu befassen konnte ihre Wunden nur vertiefen und ihren Panzer in Gefahr bringen. Aber wenn sie ihn nicht empfing, mußte es Ramirez erscheinen, als gäbe sie ihm die Schuld. Und das hatte er nicht verdient. Obwohl Honor nur noch so wenig hatte, was sie geben konnte, verhinderte ihr Gewissen dennoch, daß sie dieses Wenige zurückbehielt. Sie holte erneut tief Luft und richtete sich seufzend auf.
»Vielen Dank, Private«, sagte sie. Dann drückte sie den Knopf, der die Luke öffnete, und wandte sich um.
Tomas Ramirez sah noch schlimmer aus, als Honor erwartet hatte, und sie nahm sich zusammen. Er blieb gleich vor dem Schott stehen, das sich hinter ihm wieder schloß. »Dame Honor, ich …«, begann er, aber sie hob die Hand.
»Nicht, Tomas«, sagte sie so sanft, wie es ihr trotz des Eisblocks in ihrem Herzen möglich war. Sie wußte, daß sie mechanisch und teilnahmslos klang, und trat auf den Colonel zu. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm in dem Versuch, zu sich selbst durchzubrechen, um einen Kontakt mit ihm herzustellen, und wußte, daß sie scheiterte. »Sie waren Pauls Freund. Das weiß ich, und ich weiß, daß Sie keine Schuld tragen. Paul würde Sie nicht verantwortlich machen für das, was geschehen ist – und ich ebenfalls nicht.«
Ramirez biß sich auf die Lippe. Eine Träne glitzerte ihm im Augenwinkel, noch eine jener Tränen, die zu vergießen ihr versagt blieb, und für einen Moment ließ er den Kopf sinken. Dann atmete er tief durch, erbebte und sah wieder auf. Ihre Blicke trafen sich, und Honor erkannte an seinen Augen, daß er begriff, daß sie nichts Besseres vermochte, und es so hinnahm.
»Ich danke Ihnen, Ma’am«, sagte er leise.
Sie berührte ihn flüchtig am Arm und ging wieder an ihren Schreibtisch. Während sie sich setzte, deutete sie auf den Stuhl gegenüber und ließ Nimitz auf ihren Schoß hinunterklettern. Der Baumkater ringelte sich eng zusammen, preßte seine Schnauze fest an sie und strahlte weiterhin seine Liebe zu ihr aus. Diese Liebe tat ihr weh, denn sie klopfte wie ein Hämmerchen an dem Betäubungsmittel ihrer Distanz, aber sie streichelte ihm dennoch sanft und langsam den Rücken.
»Ich weiß«, sagte Ramirez schließlich, »daß Sie gerade erst zurückgekehrt sind, Ma’am, und bitte um Entschuldigung für meine Aufdringlichkeit, aber da ist etwas, das Sie wissen sollten, bevor Sie irgend etwas … unternehmen.« Honor lächelte freudlos über seine Wortwahl. Tomas Ramirez war mit ihr auf Blackbird gewesen. Wenn in der Galaxis jemand wußte, was sie ›unternehmen‹ würde, dann er.
»Letzte Woche«, fuhr der Colonel fort, »führten Major Hibson und ich eine Übung auf Gryphon durch.« Honor fragte sich, wie die Marines nach Gryphon gelangt waren, obwohl die Nike noch immer im Dock lag, und verspürte, wie das Interesse sich in ihr regte. Sie hob eine Augenbraue.
»Captain McKeon und Commander Venizelos waren so freundlich, das Bataillon nach Manticore B zu transportieren«, fügte Ramirez hinzu, und sie verspürte ein noch stärkeres Interesse, so als würde etwas in seiner Stimme an ihrem eisigen Kokon bohren. »Die Übung war im großen und ganzen ein Erfolg, Ma’am, aber meine Kommandopinasse erlitt einen Schaden im Navsystem. Wir landeten mehrere hundert Kilometer von der geplanten Landezone entfernt – über dem Übungsgebiet tobte ein Blizzard, der den Navigationsfehler wahrscheinlich noch vergrößerte. Wir brauchten mehrere Stunden, bis wir schließlich wieder zum Rest des Bataillons stießen.«
»Aha.« Als Ramirez verstummte, kippelte Honor ihren Stuhl ein wenig zurück und runzelte leicht die Stirn. »Darf ich fragen, warum Sie mir das alles erzählen?«
»Nun, Ma’am, durch puren Zufall landeten wir in geringer Entfernung zu einem Jagdchalet. Selbstverständlich begaben meine Leute und ich uns zu diesem Chalet, in der Hoffnung, unsere genaue Position festzustellen, damit wir uns wieder der Übung anschließen konnten. Erstaunlicherweise, Ma’am, verbrachte Denver Summervale ausgerechnet in diesem Chalet seinen Urlaub.« Mit einem lauten Klicken setzte Honor ihren Stuhl
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