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Mit Schimpf und Schande

Mit Schimpf und Schande

Titel: Mit Schimpf und Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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Jedesmal, wenn sie die Kabine verließ, saß er still und reglos auf ihrer Schulter; innerhalb der Kajüte ließ er sie keine Sekunde lang aus den Augen – aus den finster funkelnden, grasgrünen Augen.
    »Hallo, Mike. Wir sind also da.«
    »Ja.« Henkes Antwort war einsilbig, unbeholfen, im Tonfall von jemandem, der nicht genau weiß, was er eigentlich sagen sollte. In Honors Stimme lag keine merkliche Anspannung – im Gegenteil, aber eben diese Leblosigkeit, das Fehlen jedes Beiklangs, machte aus ihr die Stimme einer Fremden. Henke räusperte sich und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich habe ein Störmanöver gegen die Reporter eingeleitet, Honor. Wenn wir dich schnell genug auf die Station schaffen, dann bist du schon an Bord der Nike , bevor sie merken, daß du überhaupt nicht über die Haupthalle kommst.«
    »Danke.« Honors Lippen formten ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. Diese dunklen Augen, deren Kern aus Eis zu bestehen schien, erwärmten sich überhaupt nicht. Im Schießstand der Agni harten sie nicht einmal geblinzelt. Henke wußte nicht, wie viele Schüsse Honor auf der Reise abgefeuert hatte, aber sie hatte jeden Tag wenigstens vier Stunden dort verbracht, und die absolute Ausdruckslosigkeit, mit der sie eine Kugel nach der anderen in die Herzen und Köpfe holographischer, wie Menschen geformter Ziele gejagt hatte, machte Henke angst. Wie eine Maschine hatte Honor sich bewegt, mit einer schrecklichen, ökonomischen Präzision, die jede menschliche Regung verbot, als wäre in ihr die Seele gefroren. Honor Harrington war eine tödliche Frau – schon immer gewesen. Mike Henke wußte das besser als die meisten anderen Menschen, aber sie hatte auch gewußt, daß Honors Killerinstinkt durch Mitgefühl und Sanftheit kontrolliert wurde, welche weit wichtigere Teile ihres Charakters darstellten. Durch Pflichtgefühl und Verantwortungsbewußtsein wurde der Instinkt kanalisiert, und in gewisser Weise bildete er das Gegenstück und zugleich die Folge ihres Mitgefühls. Honor war nichts gleichgültig – in gewisser Hinsicht vergrößerte dies ihr Vermögen, Gewalt auszuüben, aber dadurch wurde der Killerinstinkt zu etwas, das Honor zur Verfügung stand, wenn sie ihn benötigte, und nicht etwas, das von ihr Gebrauch machte. Ein oder zweimal drohte er durchzubrechen und ihrer Kontrolle zu entgleiten, aber so weit war es nie gekommen. Wenn die Gerüchte über die Vorfälle während des Sturms der Blackbird-Basis stimmten, dann hatte sie damals knapp davor gestanden, aber sie hatte sich noch einmal zusammengerissen.
    Diesmal wollte sie sich nicht einmal zügeln. Henke spürte an Honor eine furchterregende Zerstörungswut, die ihr völlig neu war. Zunächst hatte sie um Honors Verstand gefürchtet; mittlerweile wußte sie, daß es noch viel schlimmer war. Honor war nicht etwa wahnsinnig – ihr war alles egal. Sie hatte das Gleichgewicht nicht nur verloren, sie strebte auch nicht danach, es wiederzugewinnen. Sie wurde nicht zum Berserker, sie war nun viel gefährlicher, denn ihr Killerinstinkt hatte die Kontrolle übernommen, und er konnte sich unmenschlicher Logik rühmen und einer Grausamkeit, die so grausam war wie der sphinxianische Winter. Honor fehlte das an ihr gewohnte Mitgefühl völlig, und sie machte sich überhaupt keine Sorgen über irgendwelche Konsequenzen ihres Tuns.
    Honor Harrington erhob sich. Sie beobachtete ihre beste Freundin von innerhalb der eisigen Mauern. Über ihre Verbindung zu Nimitz spürte Honor Mikes Furcht, und ein winziger Teil in ihr sehnte sich danach, diese Furcht zu beschwichtigen. Aber dabei handelte es sich um nicht mehr als einen Reflex, der keine Chance besaß, zu mehr zu werden als eben das, und wie man Trost spendete, hatte sie ohnehin vergessen. Vielleicht würde sie es eines Tages wieder erlernen, aber im Moment spielte das überhaupt keine Rolle. Jetzt zählte nur noch Denver Summervale.
    »Ich glaube, ich mache mich lieber auf den Weg«, sagte sie dann. Sie reichte Mike die Hand, und diese ergriff sie. Nimitz ließ Honor die Tränen spüren, die ihrer Freundin in den Augen brannten, und das verlorene Fragment der Frau, die einst Paul Tankersley geliebt hatte, sehnte sich nach einem Brennen in den Augen. Aber sie war dazu nicht fähig, und so drückte sie Mike die Hand, tätschelte ihr sanft die Schulter und ging, ohne einen Blick zurück zu verschwenden.
     
    Die zur Seite Angetretenen nahmen Habt-acht-Stellung ein und salutierten, als Honor die Haltestange

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