Mit Schimpf und Schande
einem Seufzen. »Sie wissen natürlich über Captain Tankersleys Tod Bescheid?« Der Major nickte, und Ramirez zuckte unfroh mit den Schultern. »Captain Harrington kennt den Verantwortlichen. Ich rechne damit, daß sie deswegen Schritte unternimmt, und dann werden Sie nicht in der Lage sein, sie zu beschützen.«
»Das wissen wir, Sir. Es gefällt uns nicht, Colonel, aber um offen zu sein, selbst wenn wir könnten, würden wir nicht versuchen, sie daran zu hindern.«
Ramirez konnte angesichts von LaFollets kalter, mitleidloser Antwort sein Erstaunen kaum verbergen. Die graysonitischen Moralmaßstäbe waren starr, eisern und unnachsichtig; schon der Gedanke, daß unverheiratete Menschen ein Verhältnis miteinander hatten, verletzte ungefähr ein Drittel davon. LaFollet grinste dünn über Ramirez’ Verwunderung, kommentierte sie allerdings mit keinem Wort. Dem Colonel kam allmählich zu Bewußtsein, wie sehr die graysonitischen Untertanen der Kommandantin ihr wirklich ergeben waren.
»Nun, Major«, sagte er daher, erhob sich und reichte LaFollet die Hand, »in diesem Fall heiße ich Sie an Bord willkommen. Kommen Sie mit, ich stelle Sie meinen Offizieren und meinen ranghohen Unteroffizieren vor. Danach kümmern wir uns darum, daß Sie und Ihre Leute Untergebracht werden, und passen den Wachplan an.«
»Vielen Dank, Sir.« In Ramirez’ Pranke ging LaFollets Hand beinahe verloren, aber der Grayson erwiderte den Druck fest. »Wir wissen das zu schätzen, Colonel.«
Honor öffnete die Augen. Zum erstenmal seit viel zu langer Zeit spürte sie beim Erwachen etwas anderes als erstarrte Leere. Der Schmerz war noch immer vorhanden, eingeschlossen in seinen Panzerkokon, denn in einer Hinsicht hatte sich nichts geändert: Sie wagte nach wie vor nicht, ihm freien Lauf zu lassen, bevor sie sich um die Ursache gekümmert hatte. In ihrem Herzen aber war neue, giftige Gewißheit; das Gift war ihr wohlvertraut. Sie kannte nun ihren Feind – sie war nicht länger das Opfer des Unbegreiflichen, sondern von etwas, das sie nur zu gut verstand. Und diese Tatsache hatte das Eis, das ihre Seele einschloß, zum Springen gebracht.
Als sie sich im Bett aufsetzte und sich das Haar aus den Augen streifte, rollte Nimitz sich von ihrem Brustkasten. Auch in ihm konnte Honor den Unterschied spüren. Der Baumkater hatte Denver Summervale von der ersten Sekunde an gehaßt – und nicht nur wegen dem, was er Honor angetan hatte; Nimitz hatte auf eigene Weise auch Paul Tankersley lieben gelernt. Und das machte wohl den Unterschied in ihm wie auch in ihr aus. Nun kannten sie den Verursacher ihres Schmerzes und den Grund dafür, und der Konflikt zwischen ihnen – zwischen Honors Drang zur Auflösung und Nimitz’ grimmiger Entschlossenheit, sie am Leben zu erhalten – war in einem gemeinsamen, unversöhnlichen Vorsatz verschwunden, ihre Feinde zu vernichten. Sie schwang die Füße auf die Decksohle und ließ die Hand leicht und liebevoll auf der Stelle ruhen, an der Paul hätte liegen sollen. Nun war sie dazu in der Lage; nun konnte sie sich dem Schmerz stellen, auch wenn sie noch nicht wagte, ihn in vollem Ausmaß zu empfinden. Wie seltsam , dachte sie in einem Winkel ihres Verstands. Sie hatte so viele Geschichten darüber gehört, wie die Liebe einem den Verstand rettete; niemand hatte je davon berichtet, daß Haß den gleichen Zweck erfüllen konnte.
Honor stand auf und ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen. In ihrer Erinnerung spielte wieder der Speicherchip ab, den Ramirez ihr gegeben hatte. Sie war sich vollkommen sicher, daß der Colonel die Aufzeichnung ein wenig bearbeitet hatte; dennoch hegte sie nicht den leisesten Zweifel an deren Wahrheitsgehalt. Unglücklicherweise würde sie niemals in einer Gerichtsverhandlung als Beweis zugelassen werden, selbst wenn Honor gewagt hätte, diese Aufzeichnung den Behörden vorzulegen. Ramirez war in bezug auf die Umstände mehr als nur zurückhaltend gewesen, aber die eigentümliche, schmerzverzerrte Atemlosigkeit von Summervales Stimme, als er unverzüglich zu sprechen begann, verriet ihr alles, was sie wissen mußte, über die Methode, mit der man ihn ›überredet‹ hatte, die Informationen preiszugeben. Sie beendete das Zähneputzen. Wenn das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, auch noch immer fahl und geschlagen erschien, so erkannte sie es doch wenigstens wieder, und in den Augen bemerkte sie Verwunderung, Staunen sogar darüber, was all diese Menschen für sie
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