Mit Schimpf und Schande
riskierten.
Sie spülte die Zahnbürste aus, zog den Stecker und verstaute sie, ohne die Augen von ihrem Spiegelbild abzuwenden. So viele Kameraden halfen ihr und setzten dazu die eigene Karriere aufs Spiel. Sie befanden sich weiterhin in Gefahr, denn ewig konnte der Handstreich von Gryphon nicht geheimgehalten werden. Summervale selbst würde zwar keine Anzeige erstatten, denn jede Untersuchung würde letztendlich den Speicherchip ans Tageslicht bringen, und ganz gleich, ob die Aufzeichnung mit rechtmäßigen Mitteln erlangt worden war oder nicht, einen Mann in seinem Beruf mußte schon ihre Existenz ruinieren. Möglicherweise hätte solch eine Enthüllung sogar seinen Tod zur Folge – um sicherzustellen, daß er nicht auch über andere ›Klienten‹ ein Wort verlor.
Aber selbst wenn Summervale den Mund hielt, früher oder später würden Gerüchte aufkommen. Zu viele Leute kannten zu viele Einzelheiten. Früher oder später würde irgend jemand über einem Bier oder in einer Runde von Kameraden ein Wort zuviel verlieren, denn die Geschichte war einfach zu gut, um sie zu verschweigen. Honor bezweifelte, daß auch nur ein Aspekt jemals bewiesen werden konnte, denn sie kannte McKeon und Ramirez zu gut, als daß sie angenommen hätte, die beiden hätten sich nicht gedeckt – aber das hieß noch lange nicht, daß nicht irgend jemand in einer Behörde den Gerüchten nicht trotzdem Glauben schenken würde.
McKeon und Ramirez mußten sich dessen genauso bewußt sein wie Honor, und sie hatten es dennoch getan – für sie. Vielleicht, ja vielleicht bedeutete das, daß nicht allein der Haß sie aus ihrem zombiegleichen Zustand herausgeholt hatte. Ja – die Bereitschaft der Leute, um ihrer willen solch ein Risiko einzugehen, war ebenso wichtig gewesen wie ihr Haß, und diese Bereitschaft entsprang einer eigenen Sorte Liebe.
Ihre Augen brannten, und so kniff sie sie fest zu. Ihre Lippen bebten, als schließlich doch die Tränen sich Bahn brachen. Sie rannen ihr die Wangen hinab, so geräuschlos wie das Fallen von Schnee und in seltsamer Weise sanft. Den Panzer, den sie starrsinnig an Ort und Stelle hielt, um ihre Entschlossenheit zu bewahren, konnten die Tränen nicht davonspülen, aber sie wuschen ihn, … reinigten ihn auf mysteriöse Weise. Danach bestand er nur noch aus Panzer, aber nicht mehr aus Eis. Honor lehnte die Stirn gegen den Spiegel und ließ ihren Tränen freien Lauf. Nimitz hopste auf die Toilette und stellte sich auf die Echtpfoten, klammerte die Echthände um Honors Oberarm und drückte seine Schnauze auf ihre Schulter. Sein leises, fast unhörbares Maunzen vibrierte in sie, und mit tränenüberströmtem Gesicht wandte sie sich ihm zu und riß ihn in ihre Umarmung.
Sie wußte hinterher nicht zu sagen, wie lange sie geweint hatte, und es spielte auch überhaupt keine Rolle. Diese Zeit konnte man nicht bemessen, nicht in Minuten und Sekunden schneiden. Schon der Versuch hätte sie entwertet. Aber als Honor ihre Tränen trocknete, wußte sie, daß sie sich verändert hatte. Mike hatte um ihren Verstand gefürchtet, und nun wußte Honor, daß diese Furcht ihre Berechtigung gehabt hatte. Aber nun war der Wahnsinn vorüber. Die tödliche Entschlossenheit blieb bestehen, aber nun war sie so vernünftig wie kalt, so rational wie umfassend.
Sie schneuzte sich die Nase, dann zog sie sich an, ohne nach MacGuiness zu summen. Schließlich wußte sie, wo er ihre Uniformen versteckte, und er hatte es verdient, sich einmal auszuschlafen. Gott allein wußte zu sagen, wie viele Stunden er sich um sie gekümmert und nichts zum Dank erhalten hatte als Totenstille.
Nachdem sie ihre Uniform perfekt gerichtet hatte, flocht sie ihr schulterlanges Haar zu einem einfachen Zopf. Er reichte ihr zwar nicht allzu weit den Rücken hinab, aber sie band ihn mit einem schwarzen Seidenstreifen, dem Zeichen der Trauer und der Vergeltung, zu einem kurzen Pferdeschwanz. Dann setzte sie sich vor ihr Terminal. Die Nachrichten, vor denen sie sich gefürchtet hatte, erwarteten sie, angeführt von einer tränenreichen Aufzeichnung ihrer Eltern. Bevor sie Summervales aufgezeichnete Stimme gehört hatte, hätte sie sich dem nicht stellen können, ohne zusammenzubrechen; nun vermochte sie zuzuhören und die Liebe zu bemerken, die aus den Stimmen ihrer Eltern sprach – ja, sogar mehr als bemerken: sie konnte sie spüren .
Weitere Nachrichten warteten, sogar mehr, als Honor befürchtet hatte, allen voran eine persönliche Mitteilung von
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