Mit Schimpf und Schande
den deutlichen Verdacht, daß ihr Leben nie mehr ganz das gleiche sein würde.
Sie und ihre Leibwachen stiegen in eine der Personenkapseln von Hephaistos , und sie hörte auf, sich mit Gedanken über ihre Waffenträger zu beschäftigen. Heute morgen hatte sie andere Dinge zu tun, und ihre vorübergehende Belustigung verebbte zu entschlossener Konzentration. Auf dem Positionsanzeiger beobachtete sie, wie die Kapsel sich Dempsey’s Bar näherte. Der schlanke, hellhaarige Mann nahm sich noch eine Brezel und trank aus seinem halbleeren Bierkrug. Die ersten Leute, die zu Mittag essen wollten, trafen mittlerweile ein. Der Mann saß mit dem Rücken zur Tür und gab sich den Anschein, dem Betrieb ringsum keinerlei Aufmerksamkeit zu schenken, in Wirklichkeit entging ihm jedoch nichts: Mit düsteren Augen beobachtete er alles auf der Spiegelwand hinter der Theke. Nur sein Gesichtsausdruck spiegelte keinen seiner Gedanken wider.
Denver Summervale besaß eine leidenschaftliche Persönlichkeit. Im Laufe der Jahre hatte er sich anerzogen, diese Leidenschaftlichkeit hinter der Fassade eisiger Selbstkontrolle zu verbergen, und dies war ihm so perfekt gelungen, daß er manchmal vergaß, welch hitziges Temperament ihm eigen war. Natürlich wußte er genau, wie gefährlich persönliche Wut ihm bei seiner Arbeit werden konnte, aber diesmal hatte seine Selbstkontrolle versagt, und das wußte er. Dieser Auftrag war keine Geschäftsbeziehung mehr, denn Summervale war es einfach nicht gewöhnt, ins Gesicht geschlagen zu werden. Seit vielen Jahren hatte niemand mehr gewagt, ihn anzufassen – dafür sorgte der Nimbus des Schrecklichen, mit dem seine Reputation ihn umgab. Dieser Ruf war ihm stets sehr angenehm gewesen, aber nie hatte er sich bewußt gemacht, wie sehr er damit kokettierte und sich darauf verließ … oder wie rasend es ihn machen würde, wenn ein Gegner sich weigerte, davor zu ducken.
Mit ausdruckslosem Gesicht kaute er die Brezel und spürte, wie die Wut erneut über ihn hereinbrach. Schon einmal hatten sich sein und Harringtons Pfad gekreuzt, allerdings ohne daß sie davon wußte. Damals hatte ihr Verhalten ihm einen lukrativen, wenn auch höchst illegalen Job gekostet, aber das hatte er – mehr oder weniger – als Berufsrisiko akzeptiert. Diesmal war es anders. Er hatte niemanden mehr so sehr gehaßt, seit der Herzog von Cromarty sich geweigert hatte, auch nur einen Finger zu rühren, um die Royal Marines daran zu hindern, seinen entfernten Cousin unehrenhaft aus dem Dienst zu entlassen. Innerlich zischte er vor Wut, wenn er daran dachte, was Harringtons Verbündete ihm angetan hatten. Die Schläge, die Tankersley ihm versetzt hatte, waren erniedrigend und beschämend, aber erträglich gewesen, denn sie hatten ihm geholfen, seinen Job durchzuführen – und außerdem hatte er sie zurückgezahlt: mit Zinsen! Der eine Schuß, den der Captain noch abfeuern konnte, hätte um ein Haar zu etwas Ernsterem geführt als nur einer Fleischwunde, aber auch das war völlig akzeptabel. Wie das Gefühl, sich persönlich zu rächen, hatte der Schmerz dem Adrenalinschub eine zusätzliche, sinnliche Nuance verliehen – dem Adrenalinschub, den er immer verspürte, wenn er ein Opfer zu Boden gehen sah. Aber was danach auf Gryphon geschehen war … Auf Gryphon war für ihn kein Kitzel dabei gewesen, kein Machtgefühl, kein Bewußtsein, der Todesengel zu sein. Nur Furcht und Schmerz – Furcht, die in Entsetzen umschlug, als der Schmerz zur Qual wurde – und eine Beschämung, die noch schlimmer war, als jeder Schmerz sein konnte. Tomas Ramirez war ein toter Mann. Für den Colonel würde niemand bezahlen müssen; den Colonel würde er gratis abservieren, als Akt der Eigenliebe gewissermaßen. Summervale mußte auf den richtigen Moment warten, wenn niemand, ganz besonders aber keiner seiner früheren Auftraggeber den wahren Grund ahnen konnte – aber das war in Ordnung. Das Warten würde das Töten nur um so süßer machen, wenn es denn so weit war, und bis es so weit war, würde er Ramirez schaden .
Nun erst stahl sich die Andeutung eines Gefühls in sein Gesicht: ein häßliches, schmallippiges Lächeln. In dem Augenblick, in dem er es im Spiegel sah, verbannte er es, aber innerlich frohlockte er. Er wußte, wie er Ramirez bestrafen konnte. Der dämliche Sack hatte ihm genau verraten, wie er das anzugehen hatte – und das Beste daran: Dafür war er bereits bezahlt worden.
Summervale warf einen Blick auf die Datums-/Uhrzeit-Anzeige
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