Mit Schimpf und Schande
immer die beiden sein mochten, sie waren sekundär. Summervale konzentrierte sich wieder auf das Ziel. Ein schmales, erwartungsvolles Lächeln berührte seine Lippen, aber es wich etwas anderem, als er sich endlich wirklich auf Harrington konzentrierte.
Ihr Gesicht war völlig ausdruckslos – das erste Signal, daß etwas anders sein könnte, als er sich es vorstellte, denn die Wut, mit der er gerechnet hatte, ließ sich nicht im entferntesten feststellen. Innere Alarmglocken sprangen an, während er beobachtete, wie ihr Spiegelbild auf ihn zukam. Die Menschen gingen ihr aus dem Weg – nicht offenkundig, nicht so, als bemerkten sie, was sie taten; sie handelten beinahe instinktiv, als erkannten sie etwas in ihr, das zu sehen er nur an sich gewohnt war. Er verspürte plötzlich einen Drang, zu schlucken.
Harrington kam direkt auf ihn zu, und das einzige Zeichen ihrer Gefühle bestand in dem leichten Zucken ihres rechten Mundwinkels. Summervale fiel es schwer, ihr weiterhin den Rücken zuzukehren. Sein Rückgrat juckte, als würde Harrington eine Waffe auf ihn richten, und er konnte nichts weiter tun, als sich ins Gedächtnis zurückzurufen, was er für diese Begegnung geplant hatte – daß sie genau das tat, was er sich erhoffte.
»Denver Summervale?« Die Stimme drang in ihn wie ein Eiszapfen. Nichts von der feurigen Wut, mit der er gerechnet hatte, war darin zu spüren. Diese Stimme war allen Gefühls beraubt, und es kostete ihn mehr Mühe, als er erwartet hätte, seine Lippen verächtlich zu kräuseln und sich zu ihr umzuwenden.
»Ja?« Jahrelange Erfahrung verlieh seiner Stimme genau das richtige Maß an beleidigender Herablassung, aber Harrington blinzelte nicht einmal.
»Ich bin Honor Harrington«, sagte sie.
»Sollte ich Sie kennen?« entgegnete er hochmütig, und sie lächelte. Es war alles andere als ein angenehmes Lächeln, und Summervales Handflächen begannen zu schwitzen, als ihm bewußt wurde, wie sehr er diese Frau unterschätzt hatte. Ihre Augen erinnerten an auf das Ziel gerichtete Raketenbatterien, bar jeder menschlichen Regung. Er konnte den Haß spüren, der in ihr nagte, aber sie bediente sich des Hasses, anstatt ihm zu gestatten, sie zu benutzen. Jeder einzelne seiner Instinkte schrie Summervale zu, er habe am Ende doch noch einen Jäger getroffen, der ebenso gefährlich sei wie er selbst.
»Ja, das sollten Sie«, antwortete Harrington. »Immerhin bin ich die Frau, die zu töten der Earl von North Hollow Sie engagiert hat. Genauso, wie er Sie bezahlt hat, Paul Tankersley zu ermorden.« Sie sprach mit deutlicher, tragender Stimme, und plötzlich erfüllte schockiertes Schweigen das Restaurant.
Summervale starrte sie an. Die Frau mußte wahnsinnig sein! Wenigstens fünfzig Menschen befanden sich in Hörweite, und sie beschuldigte einen Peer des Reiches, einen Mörder bezahlt zu haben? Ihm fehlten die Worte – er war wie gelähmt, er konnte einfach nicht glauben, daß sie die Anklage tatsächlich ausgesprochen hatte. Niemand – absolut niemand ! – hatte ihm je ins Gesicht geschaut und beschuldigt, er würde Geld dafür annehmen, daß er die Feinde anderer Menschen umbrachte. Alle hatten sie gewußt, was er dafür mit ihnen machen würde – daß er keine andere Wahl hätte, als sie zu fordern und zu töten. Nicht nur, um sie zum Schweigen zu bringen – wenn er diese Anklage stehenließ, würde er zum Gegenstand allgemeiner Verachtung, dessen Forderung kein Mann und keine Frau von Ehre jemals annehmen müßte.
Und nicht einmal da hatte Harrington Halt gemacht! Sie hatte es wirklich gewagt, den Mann zu benennen, der ihn für ihren Tod bezahlt hatte! Nie hätte Summervale damit gerechnet. Selbst unter dem Schock, unter dem er stand, verfluchte er seine eigene Selbstgefälligkeit. Niemand hatte je erfahren, wer ihn wann engagiert hatte. Daß die Anonymität seiner Auftraggeber gewährleistet wurde, stellte seinen wertvollsten Aktivposten dar, den maximalen Schutz für sie beide. Aber dieses Opfer wußte Bescheid. Schlimmer noch, sie besaß eine Aufzeichnung, in der seine eigene Stimme North Hollow identifizierte, und seine Gedanken rasten, als er darum rang, sein Verhalten an die neue Situation anzupassen.
Kein Staatsanwalt konnte die Aufzeichnung als Beweis gegen ihn benutzen, denn die Umstände, unter denen sie erlangt wurde, waren kaum als gesetzmäßig zu bezeichnen. Privatbürger unterlagen hingegen nicht den gleichen Beschränkungen wie Strafverfolgungsbehörden. Wenn er oder
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