Mit Schimpf und Schande
Vorgesetzten nicht, aber nur ein Idiot hätte sich bei ihr irgend etwas herausgenommen – und absolut niemand ein zweites Mal. Sie war zwar keine Zuchtmeisterin, und ihre Leute verehrten sie, aber sie fürchteten sie auch ein wenig. Sie hatte nicht nur keine Geduld mit Unfähigkeit, sie tolerierte sie nicht einmal, und jemandem, der zu behaupten wagte, es gebe etwas, das ihre Marines nicht tun konnten, gleich, wie unmöglich es sein mochte, konnte nur noch Gott helfen.
Nach Tankersleys Vermutung lag der Kontrast zwischen Ramirez und Hibson an ihrer unterschiedlichen Körpergröße. Major Hibson war 35 Zentimeter kleiner als ihr Vorgesetzter und erreichte gerade eben die Mindestgröße für das Corps, und vom Körperbau war sie auf Schnelligkeit, nicht auf Kraft ausgelegt. Der Colonel konnte sich seine Freundlichkeit leisten, denn jemand, der gebaut ist wie ein Panzeranzug, benötigte keine aggressive Mentalität, um sich Respekt zu verschaffen, Susan Hibson hingegen wirkte zu klein und zierlich für eine ›richtige‹ Kriegerin. Anders als die Navy verlangte das Marinecorps von seinen Leuten, sich gegebenenfalls im Schlamm und im Blut zu wälzen, und keine Sekunde lang hätte Tankersley bezweifelt, daß Hibson sich in ihrem erwählten Beruf jahrelang beweisen mußte – nicht nur anderen, sondern vor allem sich selbst.
Neben Ramirez erschien der Kellner, und der Colonel grinste seine Tischgefährten an.
»Noch mal das gleiche für jeden?« Dadurch, daß Ramirez alle Konsonanten wie Fließlaute aussprach, erhielt seine tiefe Stimme einen beinahe musikalischen Charakter. San Martin gehörte zu den Welten, deren auf ethische Traditionen bedachte Urkolonisten an ihrer althergebrachten Sprache festgehalten hatten, und Ramirez hatte seinen Akzent nie ganz verloren.
Zustimmendes Gemurmel beantwortete seine Frage, nur Alistair McKeon schüttelte mit einem Grinsen den Kopf.
»Kein Bier mehr für Mr. Tremaine«, verkündete er. Lieutenant (Senior Grade) Scotty Tremaine gab einen indignierten Laut von sich, und McKeon lachte auf. »Wir alten Haudegen müssen schon ein wenig auf die Grünschnäbel aufpassen. Schließlich muß er bald auf Wache.«
»Mit allem schuldigen Respekt, Sir, aber das ist ja wohl ein Haufen …« – Tremaine fuhr sich durchs sandfarbige Haar – »unbegründeter Vorurteile. Wir jüngeren, leistungsfähigeren Leute haben den stärkeren Stoffwechsel und vertragen Alkohol, ohne daß unsere Fähigkeiten dadurch eingeschränkt werden. Anders als ein paar alte … ich meine, gewisse distinguierte, dienstältere Offiziere.«
»Junger Mann, Sie verbringen entschieden zu viel Zeit mit Leuten wie Senior Chief Harkness«, sagte McKeon mit strenger Stimme, aber in seinen Augen funkelte es, und Tankersley verkniff sich ein Lachen. Mittlerweile kannte er die Leute am Tisch ganz gut und mochte sie alle, nicht nur Ramirez, aber McKeons und Tremaines Formlosigkeit außer Dienst verblüffte ihn immer wieder.
Die meisten Kommandanten pflegten niemals geselligen Umgang mit Untergebenen, und noch viel weniger hatten sie je mit ihnen gealbert, doch McKeon gelang dieser Balanceakt, ohne daß er jemals die eigene Autorität unterminierte oder den Anschein erweckte, Günstlingswirtschaft zu betreiben. Tankersley wußte nicht genau, wie der Captain das machte, und war sich fast gewiß, daß er selbst dazu nicht in der Lage gewesen wäre, aber wahrscheinlich hatte auch Tremaines Persönlichkeit damit zu tun.
»Nicht schuldig, Sir«, antwortete dieser. »Ich erinnere Sie lediglich an wissenschaftlich gesicherte Tatsachen.«
»Selbstverständlich, Lieutenant Tremaine.« Wieder lächelte McKeon, dann zuckte er mit den Schultern. »Also gut. Noch ein Bier für Mr. Tremaine. Danach trinkt er Sprudel.« In seiner Stimme lag ein ganz leichter und dennoch unmöglich zu überhörender befehlender Unterton. Tremaine akzeptierte die Anweisung, indem er lächelnd nickte. Der Kellner gab ihre Bestellungen in sein Pad und ging wieder. Hibson leerte den letzten Schluck aus ihrem Bierkrug und seufzte.
»Ich muß sagen, ich bin froh, daß sich am Boden so langsam wieder der Staub legt«, sagte sie und nahm den unterbrochenen Gesprächsfaden wieder auf, »aber ich kann mir nicht helfen – ich wünschte, Burgundy hätte es geschafft.«
»Der Meinung bin ich auch«, brummte Ramirez mit untypisch finsterer Miene. McKeon nickte zustimmend, aber Tankersley schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, dem kann ich nicht zustimmen, Susan«, sagte
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