Mit Sherlock Holmes durch Raum und Zeit 1
rasierte mich gerade frühmorgens an meinem Fenster, als ich Hufgetrappel hörte. Ein Einspänner kam im Galopp auf der Straße daher; er hielt vor unserer Tür. Unser Freund, der Pfarrer, sprang von dem Gefährt und rannte über den Gartenweg. Holmes war schon fertig angezogen, und wir eilten beide unserem Gast entgegen. Dieser war so aufgeregt, daß er kaum sprechen konnte. Endlich aber brach sich seine tragische Nachricht doch ruckweise und unter Keuchen Bahn.
»Der Teufel ist’s – Mr. Holmes! Der Beelzebub, er reitet – meine arme Gemeinde, uns alle – und läßt uns nicht – nicht mehr aus seinen Klauen!«
Der Schwarzberockte rollte die Augen und sprang, wie selber vom bösen Geist besessen, im Zimmer umher, was eher einen komischen Anblick geboten hätte, wären seine aschfahlen und von ehrlichem Grauen gezeichneten Züge nicht gewesen. »Mr. Tregennis«, stieß er hervor, »Mr. Tregennis tot – heute nacht – genau die gleichen – die gleichen Symptome wie bei seiner Familie.«
Diese letzte Äußerung bewirkte, daß Holmes aufsprang, energiegeladen bis in die Fingerspitzen.
»Können Sie uns beide in Ihrem Einspänner unterbringen?«
Der Pfarrer nickte.
»Dann müssen wir unser Frühstück verschieben, Watson. Wir stehen sofort zur Ihrer Verfügung, Mr. Roundhay. Eilen Sie – rasch, damit dort noch keiner etwas durcheinanderbringen kann!«
Mr. Tregennis bewohnte zwei Räume in der Pfarrei. Sie lagen übereinander, in einem Flügel für sich. Unten war der große Wohnraum, darüber das Schlafzimmer. Die Fenster sahen auf einen Rasenplatz hinaus, der bis an die Mauer heranreichte. Wir trafen als erste ein, vor dem Arzt oder der Polizei. So war alles noch gänzlich unverändert.
Ich möchte dem Leser die Szene genau beschreiben, wie sie sich unseren Augen an diesem nebligen Märztag bot. Denn sie hat einen Eindruck in mir hinterlassen, den nichts mehr aus meinem Gedächtnis zu löschen vermag. Die Atmosphäre des Zimmers war zum Ersticken dumpf und beklemmend. Zwar lief uns ein Dienstmädchen voraus und stieß das Fenster auf, es wäre sonst unerträglich gewesen; aber auf dem Mitteltisch stand noch eine qualmende Petroleumlampe, die meines Erachtens immer weiter die Luft verpestete. Daneben saß, in seinem Stuhl zurückgelehnt, der Tote. Sein spärlicher Bart ragte nach oben, und seine Brille war ihm auf die Stirn gerutscht. Das schmale, dunkle, dem Fenster zugewandte Gesicht verriet denselben Schrecken, der das schöne Antlitz seiner Schwester im Tode verzerrt hatte. Seine Glieder waren verdreht und seine Finger zusammengekrampft, als sei er in einem Paroxysmus der Furcht verendet. Von Kopf bis Fuß angezogen saß er da, obwohl Anzeichen dafür sprachen, daß er die Kleidungsstücke nur hastig übergeworfen hatte. Während der Nacht war das Bett benutzt worden; erst am frühen Morgen hatte das Schicksal zugeschlagen.
Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, welch glühende Spannung sich unter meines Freundes äußerer Gelassenheit verbarg, bis wir das unheilschwangere Zimmer betreten hatten. Denn sofort kam die ungeheure Aktivität, die ich in seinen Augen hatte aufschimmern sehen, zum Ausbruch. Mit einem Satz war er draußen auf dem Rasen, im nächsten Augenblick kam er schon wieder durchs Fenster, machte die Runde durchs Zimmer, rannte über die Stiege hinauf in den Schlafraum. In jeder Bewegung glich er einem ungestümen Jagdhund, der einen Fuchsbau aufstöbert. Mit lauerndem Blick durchsuchte er die obere Kammer, bis er schließlich das Fenster weit öffnete. Anscheinend hatte er etwas erspäht, worüber er in neuerliche Erregung geriet. Denn er lehnte sich hinaus und ließ dabei kleine Ausrufe der Befriedigung und Entdeckerfreude hören. Gleich darauf stürmte er die Treppe hinunter und durchs Wohnzimmerfenster ins Freie. Dort warf er sich flach auf den Rasen, war aber im Nu wieder auf den Beinen und im Zimmer. Jetzt schien aus dem Hund der Jäger selbst geworden zu sein, wenn er seiner Beute auf den Fersen ist. Mit peinlicher Sorgfalt untersuchte er die Lampe, nahm auch Messungen an ihr vor. Durch die Lupe prüfte er den Talkschirm, der den oberen Teil des Zylinders überdeckte, er kratzte etwas von der Asche, die an dessen Oberfläche hing, herunter und füllte sie in einen Briefumschlag, den er in seinem Taschenbuch verstaute. Endlich, gerade als der Arzt und die Landpolizei in Erscheinung traten, winkte er dem Pfarrer, und wir gingen alle drei hinaus auf die Rasenterrasse.
»Ich bin ja
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