Mit Sherlock Holmes durch Raum und Zeit 1
»Es wäre allerdings überflüssig, uns den Zustand der Verrücktheit auf diese Weise zu erkaufen«, scherzte er. »Jeder nüchterne Beobachter würde bestimmt behaupten, daß wir uns bereits darin befanden, als wir uns auf ein derart verwegenes Stückchen einließen… Aber ich muß gestehen, nicht im Traum hätte ich daran gedacht, daß die Wirkung so unvermittelt und heftig auftreten könnte.«
Er rannte ins Haus und erschien gleich wieder mit der brennenden Lampe, die er gestreckten Armes von sich weghielt. Er warf sie in einen Brombeerbusch. »Unserem Zimmer müssen wir nämlich ein bißchen Zeit zum Auslüften geben. Ich glaube, Watson, es besteht auch bei dir jetzt kein Schatten eines Zweifels mehr darüber, wie diese Tragödie in Szene gesetzt wurde?«
»Nicht der geringste.«
»Und doch bleibt die Ursache, das Motiv so dunkel wie zuvor. Komm hierher, in diese Laube, damit wir uns darüber unterhalten! Dieses verdammte Giftzeug kratzt mich noch immer in der Kehle. Ich glaube, wir müssen uns damit abfinden, daß alle Indizien auf diesen Mortimer Tregennis deuten. Er war der Verbrecher im ersten Drama, wenn auch das Opfer im zweiten. Vor allem dürfen wir diesen Familienzwist im Hintergrund nicht außer acht lassen, obschon eine Aussöhnung erfolgt sein soll. Inwieweit diese nur äußerlich, der Streit noch immer erbittert war, entzieht sich unserer Beurteilung. Wenn ich an Mortimer Tregennis mit seinem Fuchsgesicht und den kleinen schlauen Knopfaugen hinter den Brillengläsern denke, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, daß er besonders gütig und versöhnlich veranlagt gewesen sein soll. Als nächstes wirst du dich erinnern, daß er mit diesem Einfall, es habe sich etwas oder jemand, während die Familie bei Tisch saß, im Garten draußen bewegt, unsere Aufmerksamkeit – und sei’s nur für einen Augenblick – von der wahren Ursache ablenkte. Er hatte also einen Beweggrund, uns irrezuführen. Und schließlich: Wenn nicht er es war, der beim Weggehen das Pulver ins Feuer warf, wer sonst sollte es getan haben? Das Unglück ereignete sich unmittelbar, nachdem er die Familie verlassen hatte. Wäre danach noch jemand gekommen, hätten sich die Gastgeber doch gewiß von ihrer Tischrunde erhoben. Außerdem pflegt man im friedlichen Cornwall nach zehn Uhr abends keine Besuche mehr zu machen. Wir können also mit Sicherheit annehmen, daß Mortimer Tregennis die Schuld trifft.«
»Dann hat er Selbstmord begangen«, entfuhr es mir.
»Tja, Watson, oberflächlich betrachtet, wäre diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen. Ein Mensch, auf dessen Seele das Vergehen lastet, die eigenen Angehörigen auf solch grausige Weise in Tod und Verderben gehetzt zu haben, kann durch Gewissensbisse dazu getrieben werden, sich das gleiche Geschick zu bereiten! Nun, dagegen sprechen zwingende Gründe. Glücklicherweise gibt es einen Mann in England, der alles darüber weiß. Und ich habe es so eingerichtet, daß wir heute die Tatsachen aus seinem eigenen Munde erfahren werden. Ah! Er kommt etwas früher als verabredet. Würden Sie sich freundlicherweise hierher bemühen, Dr. Sterndale? Wir haben ein chemisches Experiment ausgeführt, demzufolge unser kleines Zimmer kaum als geeignete Umgebung erscheint, einen so erlesenen Gast aufzunehmen.«
Ich hörte, wie das Gartentor einschnappte, und dann erschien die majestätische Gestalt des afrikanischen Forschers auf dem Kiesweg. Einigermaßen überrascht wandte er sich der ländlichen Laube zu, in der wir saßen.
»Sie haben nach mir geschickt, Mr. Holmes. Ich erhielt Ihre Nachricht vor etwa einer Stunde. Und ich bin Ihrer Aufforderung gefolgt, obschon ich wirklich nicht einsehen kann, was sie zu bedeuten hat.«
»Vielleicht klären wir das alles auf, bevor wir uns wieder trennen«, erwiderte Holmes ruhig. »Einstweilen bin ich Ihnen für Ihr höfliches Entgegenkommen sehr verbunden. Entschuldigen Sie, bitte, diesen formlosen Empfang im Freien! Aber mein Freund Watson und ich haben vorhin ein neues Kapitel zu dem Thema, über das die Zeitungen unter dem Titel ›Das Grauen von Cornwall‹ schreiben, zusammengestellt. Und jetzt möchten wir gern etwas frische Luft schöpfen. Da die Dinge, die wir zu besprechen haben, Sie persönlich angehen, ist es ja wohl auch besser, wenn wir uns hier unterhalten, wo uns bestimmt niemand hören kann.«
Der Löwenjäger nahm seine Zigarre aus dem Mund und blickte meinem Gefährten unwirsch in die Augen.
»Ich wüßte nichts, das mich
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