Mit Sherlock Holmes durch Raum und Zeit 1
und mir ist ganz übel geworden bei diesem Anblick. Ja, einfach abgesackt bin ich – « Als sie dann wieder bei Bewußtsein gewesen, habe sie sofort das Fenster aufgestoßen und die frische Morgenluft hereingelassen. Dann sei sie gleich auf die Gasse hinausgerannt, wo sie einen Bauernjungen aufgegabelt und zum Doktor geschickt habe. Die Lady liege oben auf ihrem Bett, falls wir sie zu sehen wünschten. Um die Brüder in den Ambulanzwagen der Heilanstalt zu befördern, seien vier starke Männer notwendig gewesen. Sie selber könne keinen Tag länger in diesem fürchterlichen Haus bleiben. Und sie wolle noch heute nachmittag zu ihrer Familie nach St. Ives fahren.
Wir gingen die Treppe hinauf, um die Leiche in Augenschein zu nehmen. Brenda Tregennis war eine sehr schöne, wenn auch nicht mehr junge Frau gewesen. Ihr dunkles, klargeschnittenes Gesicht wirkte sogar im Tode noch anziehend. Nur stand noch immer etwas von dem Entsetzen, das ihre letzte Empfindung gewesen, darin. Von ihrem Schlafzimmer wanderten wir ins Wohnzimmer hinunter, zum Schauplatz der Tragödie. Asche und die verkohlten Schlacken des nächtlichen Feuers lagen auf dem Rost im Kamin. Auf dem Tisch standen die vier Leuchter mit den Resten der zerschmolzenen Kerzen. Die Karten lagen verstreut umher. Die Stühle hatte man zur Wand gerückt. Aber alles übrige war wie am Abend zuvor. Holmes durchmaß mit leichten, schnellen Schritten den Raum. Er setzte sich auf die verschiedenen Sessel, stellte sie an ihren ursprünglichen Platz. Er probierte aus, wieviel von dem Garten man hier drinnen zu sehen vermochte, untersuchte den Fußboden, die Zimmerdecke und den Kamin. Aber nicht ein einziges Mal entdeckte ich jenes plötzliche Aufleuchten seiner Augen oder das Straffwerden seiner Lippen, woraus ich hätte entnehmen dürfen, daß er in dieser vollkommenen Finsternis ein Licht aufglimmen sah.
»Warum das Feuer?« fragte er einmal. »Hatten sie an Frühlingsabenden immer den Kamin geheizt in diesem Raum?«
Mortimer Tregennis erklärte, der Abend sei sehr kühl und feucht gewesen. Aus diesem Grunde habe man gleich nach seinem Eintreffen Feuer gemacht. »Was gedenken Sie jetzt zu tun, Mr. Holmes?« wollte er wissen.
Mein Freund lächelte und legte mir die Hand auf den Arm. »Ich glaube, Watson, daß ich jene Abhandlung über Tabakvergiftung, die du so oft und mit Recht verurteilt hast, wieder aufnehmen werde«, sagte er. »Mit Ihrer Erlaubnis, meine Herren, wollen wir nunmehr in unsere Hütte zurückkehren. Denn ich glaube nicht, daß hier noch ein neuer Faktor in unser Blickfeld rückt. Ich werde mir alle Begleiterscheinungen gründlich überlegen, Mr. Tregennis, und sollte mir etwas dazu einfallen, so werde ich mich selbstverständlich mit Ihnen und dem Herrn Pfarrer in Verbindung setzen. Mittlerweile wünsche ich Ihnen beiden einen guten Tag.«
Erst einige Zeit, nachdem wir in Poldhu, unserem Ferienhäuschen, angelangt waren, brach Holmes sein Schweigen. Vorher saß er zusammengerollt in seinem Sessel, und sein langes asketisches Gesicht war hinter dem dicken blauen Pfeifenqualm kaum mehr zu sehen. Seine schwarzen Brauen zogen sich herab, die Stirn war gerunzelt, der Blick abwesend, als schaute er in weite Fernen. Endlich legte er mit Nachdruck die Pfeife weg und stand auf.
»Es geht nicht, Watson, ich komme nicht weiter«, äußerte er mit einem kurzen Auflachen. »Laß uns zusammen an den Klippen entlangwandern und nach Steinpfeilen suchen. Die werden wir leichter finden als Anhaltspunkte für dieses Problem. Das Gehirn so ohne ausreichendes Material arbeiten zu lassen, ist wie der Leerlauf einer Maschine. Drum Schluß mit der sinnlosen Folter! Seeluft, Sonnenschein – und Geduld, mein Watson –, das ist’s, was uns jetzt nottut. Alles übrige kommt von selbst!«
Nachdem wir uns draußen bei den Klippen tüchtig den Wind um die Ohren hatten wehen lassen, rollte er seine bisherigen Erwägungen vor mir auf. »Begrenzen wir einmal in aller Ruhe unsere Lage, Watson«, begann er, »und halten das Wenige, was wir wissen, fest, damit wir jedes neu auftauchende Faktum folgerichtig einordnen können. Erstens wollen wir als gegeben voraussetzen, daß wir keineswegs bereit sind, diabolische Einmischungen in menschliche Angelegenheiten anzuerkennen. Eine derartige Möglichkeit laß uns ganz und gar aus unseren Köpfen verbannen! Gut so; bleiben demnach drei Personen, die durch die bewußte oder unbewußte Handlung einer vierten schwer getroffen wurden. Das ist
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