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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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darauf an, die Logik der Begrifflichkeit überhaupt und einzelner Begriffe im Besonderen zu studieren, um sie sich anzueignen und ein bewusstes Verhältnis dazu zu gewinnen. Was zuallererst im Geistigen geschieht, eröffnet Bewegungsspielräume fürs Leben, Anderes wird denkbar und lässt sich in Begriffen konzipieren. Ebenso geht es jedoch darum, das Denken offen zu halten für die Erfahrungen der Existenz, um diese auf die Begriffe zurückwirken zu lassen, Bedingung einer Begrifflichkeit, die den Phänomenen des Lebens nahe bleibt. Die Begrifflichkeit stets im Auge zu behalten, wird in der philosophisch inspirierten Lebenskunst zur Aufgabe des einzelnen Selbst, die über der vordringlich erscheinenden Alltäglichkeit allzu leicht vernachlässigt wird.
Fabricando fabricamur: Das Leben schreiben
    Die Arbeit an Worten und Begriffen ist Teil der Arbeit des Selbst an sich und seinem Leben: Es bedarf dieses Äußeren, in dem es sich findet, spiegelt und gestaltet. Insbesondere das geschriebene Wort, die Schrift, erweist sich als vorzügliches Medium dafür, in der Formulierung Form für sich und das Leben zu finden. Das Papier, das beschriftet wird, auch der Bildschirm, auf dem die Buchstaben zu Wörtern und Sätzen gereiht werden, wird zum Spiegel, in den das Selbst blickt, und das Spiegelbild wirkt zurück auf das Selbst. Wer sich in der Schrift mit einer Sache auseinander setzt, setzt sich vor allem mit sich selbst auseinander. Für dieSchrift gilt daher der Grundsatz des fabricando fabricamur : Durch die Arbeit der Gestaltung wird das Selbst gestaltet, durch das Verfertigen der Schrift wird das Selbst verfertigt. In der Schrift gewinnt das Selbst die erforderliche Distanz zu sich, die ihm erlaubt, sich wie von außen zu sehen und von außen auf sich einzuwirken. Ein Raum der Freiheit entsteht, in dem das Selbst mit sich spielt, sich formt und transformiert, während es auf sich wie auf einen anderen blickt. In jeder Spur, die die Geste der schreibenden Hand hinterlässt, spürt das Selbst sich auf und gibt sich selbst Gestalt, knüpft das Netz einer Struktur und bildet ein Gewebe, in dem es zu leben vermag. In der Schrift erinnert es sich an das, was es war, bringt auf Begriffe, was es gegenwärtig ist, und beginnt davon zu träumen, was aus ihm noch werden kann. Das Erzählen und Aufschreiben wird zum Prozess der Reflexion, in dessen Verlauf die Geschichte des Lebens erst geschrieben wird, die nicht identisch mit der »wirklichen« Geschichte ist. So gewinnt das Kunstwerk des Lebens Konturen, mit all seinen Linien und Brüchen, Facetten und Fragmenten.
    Ähnlich wie andere Tätigkeiten ist das Schreiben eine Übung der philosophischen Lebenskunst, eine Übung des Geistes , eine Asketik, die in Briefen, Mails, Tagebüchern und in kleinen Texten zur Selbstverständigung vollzogen wird, auch in schriftlichen Arbeiten an Schulen und Hochschulen, die in erster Linie dazu da sind, diese Arbeit an sich selbst zu leisten, auch wenn das nicht immer so vermittelt wird. Es handelt sich um eine Arbeit, die mit Ängsten, Unsicherheiten und Selbstzweifeln verbunden ist, mit einiger Verzweiflung über die tägliche Mühsal der Detailarbeit, die nicht sichtbaren Fortschritte, die wachsenden statt schwindenden Unklarheiten, die Desorientierung und das Misslingen – und ebenso mit einiger Euphorie über den sichtbaren Fortschritt, die endlich erreichte Klarheit, die Orientierung, das Gelingen, keineswegs erst im Ganzen, sondern schon in jedem Detail. Schreiben, das ist die meditative Ruhe und der Schrei der Verzweiflung, der Kampf um jede einzelne Formulierung, jedesWort, jeden Begriff, um zu prüfen und zu spüren, ob das »so stehen bleiben kann«. Äußerst hilfreich ist das Gegenlesen eines anderen, an dessen Kommentaren das Selbst »sich reiben kann«, um ein Gespür für die eigene Schrift zu gewinnen.
    Das Selbst gerät außer sich in der Schrift: eine ekstatische Erfahrung in jeder Hinsicht. Diese Arbeit innig zu lieben und zuweilen mit Abscheu zu hassen, und dies in raschem Wechsel: Das ist die Erfahrung des Schreibens. Es ist überwältigend, am eigenen Leib zu erfahren, wie ein vermeintlich rein geistiges Problem, eine gedankliche und sprachliche Formulierung, auch auf die körperliche und seelische Befindlichkeit durchschlagen kann, bis hin zu alptraumhaften Ausmaßen, wenn »es sich nicht fügt«. Wie befreit ist demgegenüber das Aufatmen, wie beglückend die Hochstimmung im gegenteiligen Fall: »O wie schön, wie die

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