Mit sich selbst befreundet sein
lässt sich nicht mit Gewissheit ausschließen, dass es gerade die »negative« Sichtweise ist, die mit ihrer Interpretation recht behält. Sinnvoll erscheint dennoch, diese Wahrnehmung nicht für die einzig mögliche zu halten, denn die Grundlagen der Melancholie selbst sind wohl relativ, in Relation zum melancholischen Selbst und seiner Deutung der Welt zu sehen. Keinesfalls aber kann es darum gehen, die Melancholie »heilen« zu wollen, denn das hieße, mit säkularen Mitteln jenes »Unheil« zu bekämpfen, das manche christlichen Autoren schon in ihr zu erkennen meinten. Es ist eine offene Frage, ob das abgrundtiefe Unglücklichsein der Melancholie dem Selbstverständnis eines christlichen Lebens entsprechen kann oder ihm widerspricht: Im östlichen , orthodoxen Christentum, in dem das melancholische Traurigsein seine Rechtfertigung erfahren hat, wird dazu historisch eine andere Position bezogen als im westlichen , römisch-katholischen undprotestantischen Christentum, das die Melancholie lange abwies und allenfalls als Durchgangsstation auf dem Weg zur ewigen Freude gewähren ließ. Betonung des gegenwärtigen Traurigseins oder der künftigen Freude: Beide Auslegungen können sich auf die eine Stelle im Johannes-Evangelium berufen, die Brahms vertont hat: »Ihr habt nun Traurigkeit«, heißt es da, »aber ich will euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen.« Wenn es unabhängig davon im Leben um so etwas wie Heiterkeit gehen kann, dann am ehesten in einem durch Melancholie geläuterten Sinne, um zu einer heiteren Melancholie zu kommen, für die das Traurigsein und die Freude, wie alle endlichen menschlichen Phänomene, in einem Horizont der Unendlichkeit geborgen ist. Um aber ein Übermaß des Traurigseins etwas zu mäßigen, oder auch einfach nur »aus heiterem Himmel heraus«, kann das Selbst danach trachten, sich und seiner Seele im alltäglich gelebten Leben, wo immer nur möglich, wohl zu tun.
»Was mir gut tut«: Geschenke des Selbst für sich selbst
»Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft«, das gilt auch für die Freundschaft mit sich selbst: vor allem sich Achtsamkeit zu schenken, nicht achtlos vorbeizugehen an den eigenen Wünschen und Bedürfnissen, den hochkommenden Ängsten und Befürchtungen. Nicht nur in der Beziehung zu anderen spielen Geschenke eine wichtige Rolle, sondern auch in der Beziehung zu sich selbst. Geschenke sind eine Möglichkeit, »Seelenarbeit« zu leisten, als die das Schenken interpretiert werden kann; hier aber nicht primär als Arbeit an anderen Seelen, sondern an der eigenen – die letztlich wiederum die Seelenarbeit an anderen erst ermöglicht. Gelegentlich geht es darum, nur für sich selbst da zu sein, in sich hineinzuhören, um wahrzunehmen, welche Stimmen da sprechen, und darauf zu hören, was das eigene Gespür sagt, wozu es rät. Ein Geschenk ist es, »gnädig« mit sich selbst zusein, sich wohl Exzellenz, aber nicht Perfektion abzuverlangen, wenigstens nicht permanent; zufrieden mit sich zu sein, wenn auch nur gelegentlich, um nicht in Selbstzufriedenheit zu versinken; zuweilen sogar sich zu loben für ein Tun und Lassen, das kritischer Reflexion und Selbstreflexion standhält, und umso mehr sich zu loben, als andere dies vernachlässigen. Nicht nur fordernd und herausfordernd, sondern auch zart und zärtlich mit sich umzugehen; nicht nur sich anzustrengen und zu mühen, sondern die Früchte der Anstrengung auch selbst zu genießen, sich Gutes zu tun zum Ausgleich für eine Anstrengung: Geschenke können eine Anerkennung und Belohnung sein, sie können allerdings auch, ganz wie die Geschenke für andere, aus reiner Sympathie resultieren, in diesem Fall für sich selbst.
Das eigentliche Geschenk ist ein ideelles , kein materielles , das zu kaufen wäre: eine Atmosphäre für sich zu schaffen, sich selbst Aufmerksamkeit zu widmen, denn aus guten Gründen ist das wahre Geschenk eine »Aufmerksamkeit«. Einige Mühe gilt es darauf zu verwenden, herauszufinden und auszuprobieren, »was mir gut tut«, um es immer genauer kennen zu lernen und gezielter gewähren zu können. So fragt das Selbst danach, wonach der eigene Körper verlangt, und ob es möglich ist, ihm diesen Gefallen zu tun; auch was die Seele betrifft: ob sie Entspannung sucht, sich Schlaf gönnen oder sich an der frischen Luft bewegen will. Um der Entlastung willen lassen Gewohnheiten und Rituale sich pflegen, die »gut tun«, da sie keiner Mühen der
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