Mit sich selbst befreundet sein
zu. Nur zu einem gewissen Teil werden Kinder dabei vom eigenen Interesse angetrieben, zum anderen Teil angeleitet von denen, die daran interessiert sind, diese Dinge nicht allein bewältigenzu müssen. Es handelt sich um all die Arbeiten, die das banale und triviale alltägliche Leben prägen und doch das ganze Leben hindurch sich nicht von selbst erledigen: Einkaufen gehen, Essen zubereiten, Tisch decken, Gäste bewirten, Geschirr abräumen, Waschen, Bügeln, Wäsche einräumen, Schubladen aufräumen, Risse vernähen, Bett beziehen und so vieles mehr. In jedem einzelnen Fall geht es um ein handwerkliches und technisches Können, und es kommt darauf an, gezeigt zu bekommen, »wie man’s macht«, um welche Handgriffe es sich handelt, welche Kunstgriffe es gibt, worauf besonders zu achten ist. Das Können im Umgang mit den alltäglichen Dingen, so trivial es erscheint, stellt die Grundlage für die Aneignung des Lebens dar: Es trägt das Leben auch dann, wenn die anspruchsvolleren Dinge schwierig werden. Und es verhindert, dass die Wogen eines nicht bewältigten Alltags irgendwann über dem Selbst zusammenschlagen.
Auf vielfältige Weise arbeiten Kinder selbst an den Zusammenhängen, in denen sie leben können. Lange bevor sie darüber reflektieren, spüren sie, dass das Leben eines tragenden Rahmens bedarf. Vom ersten Tag an richten sie sich daher in Gewohnheiten ein und lieben die Regelmäßigkeit des immergleichen Vollzugs, das zuverlässige Ritual, das die Bewältigung des Lebens erleichtert, ja überhaupt erst ermöglicht. Durch Nachahmung und indem sie ihren eigenen Rhythmus finden, vor allem durch endlose Wiederholung üben sie Gewohnheiten ein und machen sie zu ihrem Eigentum. Das gewohnte Leben läuft wie von selbst ab, sodass die Kräfte auf Ungewohntes und Ungewöhnliches konzentriert werden können. Aufgrund ihrer steten Gegenwart und zuverlässigen Wiederkehr vermitteln die Gewohnheiten ein Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit. Die Fremdheit, die das Leben in reichem Maße bereithält, und die damit verbundene Beängstigung lassen sich mit diesem Rückhalt besser bewältigen. Aufgabe der Erziehung ist lediglich, die Abhängigkeit von dieser Verfestigung des Lebens nicht zu groß werden zu lassen, damit ihr gelegentliches Durchbrechen nicht schon zum Zusammenbruchdes Lebens führt. Eine Entwöhnung von Gewohnheiten können Kinder, sehr im Unterschied zu Erwachsenen, noch leicht meistern: Umstandslos machen sie sich an die Kreation neuer Gewohnheiten. Nur ganz ohne Gewohnheit können sie nicht leben.
Signifikant für die Lebenskunst der Kinder ist ihre Sicherheit beim Aufspüren der Dinge, derer sie existenziell bedürfen; Aufmerksamkeit vor allem: Sie spüren, wie sie aufblühen in ihr, bei ihrem Ausbleiben aber verkümmern. Dem Entstehen ihrer eigenen Aufmerksamkeit und Selbstaufmerksamkeit ist die Aufmerksamkeit der Erwachsenen in Worten, Blicken, Gesten, Gehör, Zuwendung förderlich, also versuchen sie, sie auf sich zu ziehen. Notfalls auch mit »Hyperaktivität«, die den doppelten Vorteil hat, Aufmerksamkeit mit Macht zu erzwingen und zugleich das Maß an Bewegung sicherzustellen, dessen der eigene Körper bedarf. Denn der Körper macht seinerseits ein Recht auf Aufmerksamkeit geltend, noch bevor diese eine geistige werden kann, und dafür scheint es neuronale Gründe zu geben: Die körperliche Bewegung stimuliert die Synapsenbildung im Gehirn, die dann der geistigen Konzentration zur Verfügung steht. Ein »Aufmerksamkeits-Defizit« und, damit verbunden, eine Hyperaktivität medikamentös kurieren zu wollen, statt Aufmerksamkeit und Anreize zur Bewegung zur Verfügung zu stellen, erscheint wenig sinnvoll. Ohnehin laufen die Kinder Gefahr, zwischen den Fronten eines neuen Kampfes um Aufmerksamkeit zerrieben zu werden: Zu viele Möglichkeiten der Zerstreuung ziehen ihre Aufmerksamkeit ab, und ihr immenser Bewegungsdrang wird durch Mediatisierung und Motorisierung lahm gelegt. Die fehlende Aufmerksamkeit anderer wird abgebildet in fehlender Selbstaufmerksamkeit, die das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit anderer noch mehr verstärkt. Die aber brennen aus beim Versuch, ständige Aufmerksamkeit zu gewähren, denn über unbegrenzt sprudelnde Quellen der Aufmerksamkeit verfügt niemand, erst recht nicht die Erziehenden, deren Energienim Übermaß beansprucht werden. Für die Regeneration ihrer Aufmerksamkeit wäre ihre eigene Selbstaufmerksamkeit vonnöten, sodann die Wechselseitigkeit, die zu erlernen
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