Mit sich selbst befreundet sein
lässt, statt vorgefundene Formen nur zu übernehmen. Die Dreistufigkeit des Könnens lässt sich in der Kunst erfahren und aufs Leben übertragen: Das Erschließen von Möglichkeiten, die Arbeit an ihrer Verwirklichung und ihre Verwirklichung schließlich auf gekonnte Weise. Die Arbeit am äußeren Material ist zugleich eine Arbeit des Selbst an sich und dem eigenen Leben; die dabei gemachten Erfahrungen bestärken und erweitern das Selbst. Zu erlernen ist jedoch nicht nur die aktive Gestaltung, sondern auch das passive Sich-Gestalten lassen , nicht nur aktiv zu wählen, sondern auch passiv sich wählen zu lassen – vom Material, von der Idee eines künftigen Werks, von einer Farbe, einer Faszination, einer Inspiration. Eine besondere Rolle kommt der Schrift zu: Im Umgang mit diesem äußerlichen Gewebe, an dem Individuen durch die Zeiten hindurch gestrickt haben, findet das Selbst seine eigene Struktur, und je mehr es sich auf das kreative Spielmit diesem Material einlässt, desto mehr weiß es aus sich selbst zu machen, sich zu üben in autonomer Formgebung, die eine Grenzziehung seiner selbst bedeutet, um sich nicht in Möglichkeiten zu verlieren.
4. Zur Kunst gehört in der Schule der Lebenskunst die Arbeit am eigenen Körper, der insbesondere durch die Kunst der Bewegung zu kultivieren ist. In der körperlichen Bewegung gewinnt das Selbst ganz von selbst einige Aufmerksamkeit auf sich, ein Bewusstsein von sich, eine Verfügung über sich; es macht die Erfahrung des Könnens auf elementarer Ebene und kann in der eigenen Körperlichkeit geradezu schwelgen. Die Macht dieses Könnens nicht zu erfahren, würde das Selbst der Gefahr aussetzen, sich dem Leben ohnmächtig ausgeliefert zu fühlen. Von Bedeutung sind daher sämtliche Formen der Körperbildung, des Wissens vom Körper und der Praxis im Umgang mit ihm, der Bewegungserziehung und der Kultivierung von Bewegung im Gehen, Laufen, Rennen, Schwimmen, Tanzen, in der Gymnastik und im Sport. Von Bedeutung erst recht in einer Zeit, in der die körperliche Bewegung von Kindheit an sich nicht mehr von selbst versteht und doch entscheidend ist für das integrale Selbst-und Weltverhältnis, für die körperliche Erfahrung im Umgang mit sich, für den Gewinn seelischer Erfahrung in der Koordination der Bewegung mit anderen, für den Gewinn geistiger Beweglichkeit in der Koordination komplexer Bewegungsabläufe in Raum und Zeit. Gerade ein »Sich-Austoben« schafft mit der körperlichen Bewegung erst die Basis für die geistige Beweglichkeit, und jede geistige Anstrengung lässt sich umgekehrt durch eine Anstrengung des Körpers wieder austarieren.
5. Die Übernahme der Selbstsorge, körperlich, seelisch, geistig, ist grundlegend für jede Lebenskunst. Sie ermöglicht die bewusste Lebensführung und kommt in Formen des Umgangs mit sich selbst zum Ausdruck, die das jeweilige Selbst aus sich herausund mithilfe von Anregungen und Anstößen anderer entwickelt. Damit durchbricht es die Gleichgültigkeit gegen sich, die nur aufrechtzuerhalten wäre um den Preis eines nicht gelebten Lebens, einer Verbitterung gegenüber anderen, bei denen das Leben vermutet würde, das dem Selbst entgeht. Die Selbstaufmerksamkeit im Umgang mit sich wird aber wesentlich befördert von der Aufmerksamkeit anderer – in der Schule der Lebenskunst lässt sich dieser Prozess auf Wechselseitigkeit hin anlegen. Anregung und Anleitung erfährt das Selbst ferner für die Beratung mit sich, für die Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit gegen sich, für die Stärkung der Selbstmächtigkeit, für das gesamte »Selbstmanagement« mit dem Ziel der Selbstfreundschaft, um mit sich zusammenleben zu können und auf diese Weise nie allein zu sein. Und zugleich erlernt es all dies nicht allein um seiner selbst willen, sondern in gesellschaftlicher Absicht, denn in der Entwicklung einer »subjektiven Vollmacht« wird die » nicht-belichtete Seite « des gesellschaftlichen Prozesses sichtbar: Schon Hans-Jochen Gamm beharrte in seinem pädagogischen Entwurf Umgang mit sich selbst (1977) darauf, »dass erst humaner Umgang mit sich selbst Humanität im gesellschaftlichen Maßstab aufbaufähig macht«.
6. Die kluge Selbstsorge mündet von Grund auf in die Sorge für andere, da ein eigenes Leben der Einrichtung des Lebens mit anderen bedarf. Alles Zusammenleben, alle Gestaltung von Geselligkeit und somit von Gesellschaft im Kleinen wie im Großen verdankt sich aber nicht in erster Linie rechtlichen Formen, sondern Formen
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