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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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wiederum nach außen projiziert. Auch die Verlagerung eines inneren Konflikts nach außen ist möglich, der Konflikt wird dadurch fassbarer. Das Selbst sollte sich lediglich im Klaren darüber sein, dass andere nun die inneren Stimmen repräsentieren, mit denen es in sich selbst nicht fertig wird – um sie beizeiten davon wieder zu entlasten, statt ihnen ihre Rolle nachzutragen, für die sie nichts können.
    Die vorsätzliche Veranstaltung des Selbstgesprächs wird in der Kommunikationspsychologie »inneres Parlament« genannt. So werden die verschiedenen Stimmen, ihre Standpunkte und ihre Konflikte nach innen hin bewusst gemacht, ins Verhältnis zueinander gesetzt und nach außen hin dargestellt. Ihre Konstellationen und Dispositionen, Koalitionen und Oppositionen lassen sich durchspielen, um die »innere Gruppendynamik« zu beflügeln, die zur Bildung eines Inneren Teams führen kann (Friedemann Schulz von Thun, 1998). Eine zugehörige Übung besteht darin, sich geradezu bildlich vor Augen zu führen, welche Stimmen im Spiel sind und wie ihre wechselseitigen Beziehungen zu beschreiben sind, sie auch namentlich zu benennen: der Misstrauische, die Vertrauensselige, der Egoistische, die Solidarische, der Vorsichtige, die Wagemutige, der Vorlaute, die Verborgene etc. – vielleicht literarisch inspiriert, denn die Literatur und Dichtung aller Zeiten handelt von diesen Stimmen und ihren Verhältnissen; einige weniger literarische kommen im Alltag noch hinzu. So führt das Selbstgespräch zur Klärung der wirklichen und möglichen Verhältnisse im Selbst, soweit diese sich erkennen lassen. Offen ist jedoch die Frage, ob es sich dabei um die altehrwürdige »Selbsterkenntnis« handelt; offen auch, was unter dem Begriff des »Selbst« zu verstehen ist, der bislang Verwendung fand, als verstünde er sich von selbst; und um welche »Erkenntnis« es geht, wenn von der Erkenntnis dieses Selbst die Rede ist.
Erkenne dich selbst! Aber was heißt das?
    Im Grunde sind Erfahrung und Begriff des Selbst eine Angelegenheit jedes Einzelnen im Umgang mit sich. Und doch wirken kulturelle Leitbilder und allgemeine Denkweisen auf dieses Selbst ein, von denen es kaum je weiß. In der Kultur- und Geistesgeschichte wird daher seit langer Zeit versucht, weit über das einzelne Selbst hinaus im Begriff des Selbst eine Wirklichkeit zu bündeln, auf die sich die Erkenntnis richten kann, die so genannte »Selbsterkenntnis«. Steht beim Erkenntnisvorgang dem erkennenden Subjekt gewöhnlich ein äußeres Objekt gegenüber, so wird das Subjekt hier für sich selbst zum Objekt, um ein Wissen von der Wahrheit des allgemeinen Selbst zu gewinnen, als dessen Ableitung das je besondere Selbst nur existieren kann. Historisch trat der Begriff der Selbsterkenntnis spektakulär und nachhaltig in der Forderung hervor, die über dem Eingang zum Tempel von Delphi den Besucher empfing: »Erkenne dich selbst« ( gnōthi sautón ). Das einzelne Selbst konnte sich angesprochen fühlen, eine reflexionslose Haltung aufzugeben und sich gleichsam wie von außen zu sehen, um sich zu erkennen. Keine persönliche Erkenntnis des Selbst war damit gemeint, sondern eine anthropologische Selbsterkenntnis : Erkenne, dass du ein Mensch bist. Das heißt: kein Gott. Sterblich, nicht unsterblich. Gebrechlich, nicht unverletzlich. Fehlerhaft, nicht vollkommen. Ohnmächtig, nicht allmächtig. Unwissend, nicht allwissend. Anders formuliert: Erkenne die Bedingungen, die Möglichkeiten und die Grenzen, mit denen du zu leben hast. Nicht nur du, sondern auch jeder andere. Diese Selbsterkenntnis zielte nicht auf eine positive Bestimmung dessen, was Selbst ist , eher auf die negative Bestimmung dessen, was es nicht ist : nicht göttlich. Der Anspruch auf Selbsterkenntnis selbst wurde begrenzt, und so führte der delphische Spruch zu einem demütigen statt auftrumpfenden Selbstverhältnis, zur Einsicht in die Schwäche, Kleinheit und manchmal auch Erbärmlichkeit des Selbst.
    Von Sokrates und Platon wird die delphische Selbsterkenntnis im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. aufgegriffen, um dazu anzuleiten, ein kritisches Verhältnis zu sich zu gewinnen, sich zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, nun jedoch verbunden mit dem Anspruch, das Wesentliche des Menschen positiv erkennen zu können. Die so verstandene philosophische Selbsterkenntnis erkennt das eigentliche Selbst in seiner unvergänglichen Seele, innerhalb der Seele wiederum in der herausragenden Eigenschaft der Besonnenheit (

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