Mit sich selbst befreundet sein
bewussten Entscheidungen. Müsste dann nicht die philosophische Lebenskunst von einer wissenschaftlichen Weltanschauung abgelöst werden, die ein Selbst und sein Leben zweifelsfrei erklären und das »autonome« Gehabe von Subjekten in neuronale Netze auflösen würde? Kein Zweifel, dass die Aufklärung über unbewusste, neuronale, hormonelle Bedingungen hilfreich sein kann, um sich des Bewusstseins und seiner Grenzen bewusster zu werden. So lässt sich etwa das Phänomen erklären, dass das Denken häufig als ein »Träumen« erscheint: Es erfährt sich als unwirkliche Insel des Bewussten in einem unablässig wogenden Meer des Unbewussten, in dem »es« spielt und webt und assoziiert. Nützlich erscheint das Wissen, dass Nervenbahnen verkümmern, wenn sie nicht durch Denken und Empfinden geübt werden (»Neurobic«); dass eine Depression auch neuronale Gründe haben kann; dass die Angst eine Schwankung im Hormonhaushalt sein kann, verursacht von einer Dysfunktion der Schilddrüse. Und doch kann alles Wissenlediglich Aspekte des Selbst aufzeigen, nicht die letztgültige Wahrheit des Selbst . Und selbst dann, wenn die vollständige Erkenntnis des Selbst erreichbar wäre: Wäre sie auch wünschbar? Wäre das vollkommen erforschte Selbst die definitive menschliche Gestalt? Nietzsche wusste wohl, warum in der Forderung nach Selbsterkenntnis »beinahe eine Bosheit« steckt ( Fröhliche Wissenschaft , 335): Welche Langeweile, das Selbst vollständig zu kennen! Eine doppelte Vorsicht erscheint daher angebracht: Zunächst eine epistemologische Vorsicht , bezogen auf die theoretischen Ansprüche des Wissens vom Selbst, und dies aus mindestens vier Gründen.
1. Wissen ist, anders als sein Begriff glauben macht, grundsätzlich ungewiss. Das ist kein Argument gegen die Arbeit des Wissens, aber die daraus resultierenden Erkenntnisse gelten lediglich »bis auf weiteres«, ihre hinreichende Konsolidierung gelingt nur in langen Zeiträumen, und das gilt auch für psychologische und neurologische Erkenntnisse. Es wäre unwissenschaftlich, die Geltung gegenwärtigen Wissens »für immer«, statt bis zum Zeitpunkt weiterer Erkenntnisse, die die gegenwärtigen revidieren können, behaupten zu wollen. Dies soll der Begeisterung fürs Wissen keinen Abbruch tun, sondern eine im Umfeld des Wissens unangemessene Gläubigkeit mildern, die im jeweils erreichten Stand des Wissens schon dessen letzte Gestalt zu sehen bereit ist. Wissen hat eine Geschichte, die über die Zeiten hinweg von Entwicklungen, peinlichen Irrtümern, grundstürzenden Neuerungen berichtet. Kaum anzunehmen, dass diese Geschichte ausgerechnet in der Aktualität zu Ende geht. Werden Menschen nach momentanem Wissen von ihren Hormonen »gesteuert«, so sehen neuere Erkenntnisse sie vielleicht teils von Hormonen, teils von Gedanken beeinflusst, die Gedanken erscheinen teils neuronal erklärbar, teils nicht, und schon sind alte Konzepte der Selbstbestimmung wieder zu erneuern. Gewiss ist nur, dass Wissen immer wieder sich selbst überholt, sodass es unklug wäre, dasLeben zu sehr an seine gegenwärtige Gestalt zu binden. Mit der daraus resultierenden Ungewissheit zu leben und nicht über trügerische Gewissheiten sich zu definieren, ist ein Anliegen des Lebenwissens und der Lebenskunst, ganz im Sinne des Neurologen Antonio R. Damasio, der es für eine Leistung des Bewusstseins des Selbst hält, »die Kunst des Lebens zu verfeinern«, und dabei einen evolutionären Prozess am Werk sieht, »weil die Kunst des Lebens einen Erfolg der Naturgeschichte darstellt« ( Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins , 1999).
2. Wissen kann nicht in solchem Maße objektiv sein, wie es beansprucht. Daraus folgt nicht etwa seine Subjektivität, aber alle Erkenntnis, auch die des Selbst, ist abhängig vom menschlichen Zugriff, von menschengemachten Instrumenten und Methoden, von der Perspektive und Blickrichtung der jeweiligen Forschung, geleitet von Interessen. Ein außermenschlicher Maßstab der Objektivität steht nicht zur Verfügung. In Bezug auf das »Subjekt« findet sich das Bewusstsein, das sich selbst und sein Unbewusstes zu erkennen hat, immer schon vor, es gibt kein absolutes Außen dazu. In Bezug auf das »Objekt« verschwindet beim Vorgang des Analysierens das womöglich Wesentliche, der Sinn , der Zusammenhang, in den es eingebettet ist. Vorbehalte erscheinen daher angebracht gegen neurobiologisch begründete Aussagen der Art: »Es gibt kein Ich.« Denn wer
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