Mit sich selbst befreundet sein
Schönes oder Schönheit ist im Grunde ein Begriff , mehr oder weniger bewusst definiert und immer wieder neu zu definieren. Darunter kann das verstanden werden, wozu das Selbst »Ja« sagt, denn dies ist wohl die durchgängige Bedeutung des Schönen im Sinnlichen, Seelischen undGeistigen, ästhetisch und ethisch, in Bezug auf Kunstschönes und Naturschönes, im Hinblick auf das eigene Leben wie auf das Zusammenleben mit anderen. Nicht mehr unbedingt auf platonischem Weg, also durch den Aufstieg zu einer präexistenten, überhimmlischen Idee der Schönheit kommt »Schönes« in die Welt, sondern durch dessen Bestimmung als Bejahung, abhängig von der Wahl des Selbst. Wenn Schönes aber als Bejahenswertes zu verstehen ist, Bejahenswertes wiederum als das Lebensförderliche , dann lässt sich der existenzielle Imperativ individuell in Kraft setzen: Gestalte dein Leben so, dass es bejahenswert ist.
Was über die formale Bestimmung als Bejahung hinaus material unter Schönem im Leben zu verstehen ist, wird ebenso individuell vom Selbst festgelegt. Es kann jedoch Anregungen dazu aufnehmen, um im Laufe einer Selbstbesinnung zur Klärung für sich selbst zu kommen: Was ist für mich schön? Was erscheint mir bejahenswert? Kunstschönes zum Beispiel, bejahenswert aus der Sicht dessen, der diese Dichtung liebt, dieses Gemälde bewundert, diese Skulptur betrachtet, dieses Musikstück hört, diese Performance erlebt und »schön« findet – nicht um Kunst auf Schönheit zu verpflichten, sondern um sich selbst die Freiheit zu dieser Bestimmung zu nehmen, aus welchen Gründen auch immer: aufgrund einer Inspiration, Irritation, Anregung, Formvollendung, die für schön gehalten wird. Ebenso Naturschönes : Schön kann eine Landschaft sein, eine einzige Stelle in der Landschaft, ein einzeln stehender Baum, das Rauschen in den Baumwipfeln, der Tautropfen auf einem Blatt, der Duft eines spiegelglatten Sees am Morgen, der Wind in den Haaren, die Sonne im Gesicht, das Gleißen der Sterne am Nachthimmel, der Blick, wenn auch nur technisch vermittelt, von außen auf den wolkenumwehten blauen Planeten. Ferner menschlich Schönes : sei es das Äußerliche eines Menschen, das mehr ist als nur »Beauty«, nämlich seine besondere Gestalt, seine Gestik, sein ebenmäßiges oder von Erfahrungen zerfurchtes Gesicht, seine Art zu sprechen; oder das Innerliche, das aus den Augen leuchtet und in Haltungund Verhalten zum Ausdruck kommt, das Gefühl und Gespür und all das, was an anderen und am Selbst liebenswert sein kann. Insbesondere Charakterschönes : Eigenschaften wie Geduld und Duldsamkeit, Aufgeschlossenheit und Offenheit, die Fähigkeit zur Selbstbehauptung können bejahenswert erscheinen, oder andere Charakterzüge, die an sich oder anderen besonders geschätzt werden, etwa Achtsamkeit, Hilfsbereitschaft, die Bereitschaft, für andere da zu sein.
Unverzichtbar erscheint Beziehungsschönes : Schön kann die Beziehung der Liebe sein, die das Leben bejahenswert macht wie kaum etwas sonst; ebenso die Beziehung der Freundschaft, die ein Hort des Schönen im Leben ist und zudem einen Begriff von Ethik vermittelt, denn neben dem Umgang mit sich ist in der Freundschaft der Umgang mit anderen exemplarisch zu erlernen. Von Bedeutung ist ferner Verhältnisschönes , »die Verhältnisse« im Sinne der Lebensumstände betreffend, zu Hause, am Wohnort, am Arbeitsplatz: Sind sie bejahenswert? Und wenn nicht: Wie lässt sich damit leben oder wie lassen sie sich verändern? Oder Erlebnisschönes : Schön kann ein vertrödelter Morgen oder ein gemeinsamer Abend sein; schön kann es sein, im Kino für zwei Stunden in eine andere Welt einzutauchen und einer anderen Geschichte anzugehören (»Cinetherapy«). Andere als die gewöhnlichen Erfahrungen, staunenswert, lustvoll oder schmerzlich, können als schön empfunden werden. Auch sinnlich Schönes : Der Reiz eines Gesichts, einer Gestalt für den Sinn des Sehens, einer bestimmten Melodie für den Sinn des Hörens, eines Kaffeedufts für den Sinn des Riechens, dieses Essens und Weins für den Sinn des Schmeckens, dieser Berührung für den Sinn des Tastens. Ferner Dingschönes : Ein Kleidungsstück, das besonders gerne getragen wird oder das das Selbst an anderen gerne sieht. Eine Tasse, die besonders geliebt wird. Ein altes Möbelstück, an dem das Herz hängt. Die Schönheit technischer Dinge. Die Schönheit einer Architektur. All die Zuneigung zu Dingen, mit denen das Selbst leben will und in denen ein
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