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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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ersten Mal auf dem Bildschirm sah, dachte ich: Immerhin kann sie singen. Die Freude daran brach ihr aus den Augen. Ansonsten schien alles aus Plastik, ihr Lächeln, ihre Gestalt, ihre Bewegungen, ihre Texte – alles stromlinienförmig, nichts Eigenes. Kein Selbst von innen her, nur ein Passepartout. Vielleicht zog jemand im Hintergrund die Fäden und missbrauchte ihre Freude, aber wenn sie das mit sich machen ließ… Dann die Nachricht, unter »Vermischtes aus aller Welt«, von versuchter Selbsttötung. Mariah Carey ? Es schien um eine Frage des Eigentums zu gehen, eines Eigentums jedoch, das nicht nach hundert und mehr Millionen Dollar zu beziffern war, die eine Plattenfirma ihr für ein paar Alben zahlen wollte, und die sie nun aufs Spiel setzte. Die Frage des materiellen Eigentums erscheint als eine äußerliche, im Verhältnis zum Kern des Selbst periphere. Entscheidender ist wohl die Frage des ideellen Eigentums , das den inneren Kern des Selbst berührt. Die Frage danach geht aus der Selbstsorge hervor, mit der ein Selbst sich um sich bemüht und Selbstaneignung betreibt. Die ideelle Aneignung ist ein Akt der Selbstmächtigkeit und begründet Selbsteigentum : eigene Meinung, eigene Haltung, eigene Ethik, eigene Zweifel, eigene Gefühle, eigene Ideen, eigene Interessen, Eigeninteresse überhaupt, eigene Initiative, eigene Wahl. Das Selbsteigentum zu verlieren, kannden Verlust der Selbstachtung nach sich ziehen und das Leben jeglichen Sinns berauben. Durch Geld ist es nicht zu kompensieren; Geld mag beruhigend sein, lebensnotwendig aber ist, sich selbst zu Eigen zu sein.
    Liegt im ideellen Eigentum das wirkliche Leben? Ist Selbstaneignung das wahre Sein ? Aber was ist gemeint mit »wahr«, was mit »Sein«? Sein und Wahrheit gehören traditionell zu den großen Begriffen der Philosophie, viele haben sich an ihnen versucht, niemand hat das Nachdenken darüber zu Ende gebracht; daher sind sie mit Vorsicht zu gebrauchen: Allzu leicht verselbstständigt sich das Reden darüber zu einem in sich selbst kreisenden Diskurs. Entscheidend ist letztlich die Frage, was Sein und Wahrheit fürs wirklich gelebte Leben bedeuten können, das zu einer »Trivialisierung« hehrer Begriffe neigt. Aber wo wäre das Sein zu finden, wenn nicht im jeweiligen So-Sein? Wie wäre dieses So-Sein zu korrigieren, wenn nicht mithilfe der Frage nach einem »wahren Sein«? Die Frage erscheint sinnvoll, wenn sie auf die Klärung der Zusammenhänge zielt, die dem Leben zugrunde liegen, untergründig und hintergründig; sie verkörpern den »Sinn«, der das Leben zu verstehen und nach den Möglichkeiten eines anderen Lebens zu suchen erlaubt. Dass es wesentliche, »eigentliche« Grundstrukturen des Lebens und der Existenz gibt, ist eine hermeneutische Grundannahme. Eine Frage der Deutung im Einzelnen ist sodann, um welche es sich handelt, und was aus ihrer Kenntnis fürs Leben folgt. Die Differenz zwischen einem Sein (einem So-Sein, wie es ist) und einem Sollen (einem wahren Sein, wie es eigentlich sein soll) lässt sich überbrücken durch eine Wahl , die getroffen wird und mit der das Selbst entscheidet, sich am »wahren Sein« zu orientieren und sein Leben diesem Maßstab gemäß einzurichten. Den Versuch dazu zu unterlassen, würde eine »Seinsvergessenheit« zur Folge haben.
    Es versteht sich aber von selbst, dass bereits die Anerkennung einer Differenz von Sein und Sollen eine Frage der Wahl ist, dennalles an der Existenz kann ebenso gut dem bloßen Dahintreiben überantwortet werden. Schon ein Verzicht auf die Wahrnehmung eines Sollens kann die Differenz zwischen Sein und Sollen zum Verschwinden bringen – kein Plädoyer für eine »Lösung« dieser Art, aber für die Wahrnehmung des eigenen Anteils an der Konstruktion des Problems. Und was immer eine »existenziale Analyse« hinsichtlich des wahren Seins ans Licht bringt – immer wird eine existenzielle Wahl darüber getroffen, ob das Selbst sich damit überhaupt befasst; eine Abwahl ist real möglich. Grundsätzlich ist »Sein« ein Begriff und eine Frage des Bewusstseins. Bewusstsein heißt: Verfügenkönnen über das Sein. Erst mit dem Bewusstsein wird das Sein selbst zur Wahl; Grundlage jeder bewussten Lebensführung. Entscheidend ist, welche Auffassung vom Sein so plausibel erscheint, dass sich das Leben darauf gründen lässt, und mit welcher Auffassung sich sinnvoll leben lässt.
    Wenn es unter dieser Voraussetzung dennoch um das »wahre Sein« geht: Heißt dies dann, »im Wahren

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