Mit verdeckten Karten
einem Kollegen teilte, der in diesem Moment aber zum Glück nicht anwesend war.
»Ich werde dir über Dmitrij Platonow alles erzählen, was ich weiß. Ich bin überzeugt davon, daß er den Mord nicht begangen hat, aber ich kenne ihn schon so lange, daß ich mich auch irren kann. Einen alten Freund sieht man mit ganz anderen Augen als einen Fremden, meinst du nicht auch?«
Igor nickte schweigend. Russanow hatte ihm sofort gefallen, aber sein angeborenes Mißtrauen zwang ihn zur Vorsicht.
»Solange ich Dima kenne, war er immer ehrlich«, begann Sergej. »Er konnte Dummheiten begehen, manchmal war er unbedacht, er irrte sich oft, aber im übrigen auch nicht öfter als wir alle. Damit du nicht denkst, daß ich meinen Freund nur in Schutz nehmen möchte, sage ich dir gleich, daß ich natürlich nur die Seite von Dmitrij Platonow sehen konnte, die er mir zugewandt hat. Ob es eine zweite Seite gibt, und wenn ja, wie diese Seite aussieht – das weiß ich nicht. Das ist das erste. Jetzt das zweite. Weißt du, daß Dmitrij eine Geliebte hat?«
»Ja«, bekannte Igor. »Ich habe gestern mit ihr gesprochen.«
»Weißt du auch, daß sie meine Schwester ist?«
»Ich habe bemerkt, daß ihr den gleichen Familiennamen habt«, sagte Lesnikow ausweichend.
»Die beiden kennen sich schon sehr lange, und ich möchte, daß du eines verstehst. Ich liebe meine Schwester sehr, und wenn ich Dima nicht für einen anständigen und guten Menschen halten würde, hätte ich diese Verbindung nicht zugelassen. Alles Gute, was ich über ihn sage, sage ich völlig aufrichtig und nicht deshalb, weil ich ihn schützen und den Verdacht von ihm ablenken will. Ich habe schon in ganz anderen Klemmen gesteckt, Igor, ich habe ja schon unter Stschelokow, dem korrupten Innenminister, mit dem Dienst angefangen, so daß ich viel Übung im Schwimmen durch Strömungen unter Wasser habe. Ich weiß sehr gut, welche Gedanken dir durch den Kopf gehen. An deiner Stelle würde ich dasselbe denken wie du. Laß uns deshalb alle Punkte, Kommas und sonstigen Satzzeichen von Anfang an an die richtigen Stellen setzen!«
Es war schon spät, als Igor und Russanow auseinandergingen. Als Lesnikow die Tür zu seinem Büro abschloß, stellte er mit Erstaunen fest, daß es ihm schon lange nicht mehr so leichtgefallen war, sich mit einem Menschen zu unterhalten, den er gerade erst kennengelernt hatte. Oberstleutnant Russanow gefiel ihm zweifellos sehr gut.
4
Es wurde schon Abend, und Platonow hatte immer noch nicht gefunden, was er suchte. Er war sicher, daß die Fahndung nach ihm bereits lief, deshalb hatte es wenig Sinn, die Stadt verlassen zu wollen. Und das war auch gar nicht seine Absicht. Er wollte nicht einfach nur untertauchen, sondern auch versuchen herauszubekommen, was passiert war, und deshalb mußte er in Moskau bleiben.
Die Methode war erprobt und hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Dmitrij Platonow suchte eine Frau, die bereit war, ihm zu helfen. Die Vorgehensweise kannte er seit langem, er hatte sie schon in der Polizeischule gelernt, als man sie, jung und grün, wie sie damals waren, darauf trimmte, Kontakt mit Fremden aufzunehmen und aus jedem beliebigen Passanten auf der Straße Informationen herauszuholen. Schon damals gelang es ihm am besten, mit Frauen in Kontakt zu kommen. Niemand, auch er selbst nicht, wußte, was das Besondere an ihm war, das die Frauen dazu bewog, ihm zu glauben. Er konnte zauberhaft lächeln, mit sanften Augen schauen, mit samtiger Stimme sprechen, und er sagte immer die passenden, notwendigen Worte, denen niemand widerstehen konnte. Die anderen versuchten, ihn zu kopieren, aber ohne Erfolg. Scheinbar sagten sie haargenau dasselbe wie er, aber es nutzte ihnen nichts. Da war etwas an Dima Platonow, das nicht greifbar, nicht sichtbar, nicht hörbar war, aber immer perfekt funktionierte. Konnte man dieses namenlose Etwas vielleicht mit dem berühmten Wort »sexy« bezeichnen?
Für das, was Platonow vorhatte, brauchte er eine Frau in den Vierzigern, unverheiratet und intelligent. Sie durfte sich noch nicht zum alten Eisen zählen, sie mußte noch gefallen wollen, aber sie durfte erstens nicht schön sein und zweitens keinen festen Freund haben. Dmitrij fuhr seit dem Morgen durch die Stadt, betrachtete die Frauen auf der Straße, in den Geschäften, in den Auto- und den Trolleybussen, er sprach sie an und unterhielt sich mit ihnen, aber heute hatte er kein Glück. Einst hatten ihm zwei, drei Stunden genügt, um zum Ziel zu kommen,
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