Mit verdeckten Karten
seltsamer Zufall.
»Es wäre besser gewesen, du hättest mich nicht erkannt«, sagte er mit gespieltem Pathos. »Und ich hätte dich nicht ansprechen dürfen, denn damit habe ich dich einem unnötigen Risiko ausgesetzt. Aber deine Augen haben mich einfach verrückt gemacht. . .«
An dieser Stelle folgte eine bedeutungsvolle Pause, in der die Mitspielerin in der Szene Gelegenheit hatte, sich über ihre wahren Absichten und Motive klarzuwerden. Falls Kira nun, nachdem sie sich Platonow näher angeschaut hatte, bereuen sollte, daß sie sich so leichtsinnig verhalten und auf eine Zufallsbekanntschaft eingelassen hatte, dann war jetzt der Moment gekommen, einen Rückzieher zu machen.
»Kann ich dir irgendwie helfen?« fragte Kira. Mit diesen Worten besiegelte sie ihr Schicksal, zumindest für die nächsten vier Wochen. In neun von zehn Fällen reagierten die von Platonow ausgewählten Frauen am Ende der Pause mit genau diesem Angebot, und Kira hatte sich nicht als Ausnahme erwiesen.
6
Vitalij Wassiljewitsch Sajnes stellte den Fernseher ab und schmunzelte. Die Glasnost hatte durchaus ihre positiven Seiten. Hätte man sich in früheren Zeiten etwa vorstellen können, daß die täglichen Polizeiberichte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und daß es keiner List und Tücke mehr bedürfen würde, um Dinge zu erfahren, die man wissen mußte? Wenn man die Nachrichten in Funk und Fernsehen aufmerksam verfolgte, bekam man eine Menge nützlicher Informationen. Heute hatte Sajnes zum Beispiel erfahren, daß es im Moskauer Umland einen Schützen gab, der offenbar nie danebenzielte. Ein sehr nützlicher Mann. Angesichts der Lage, die sich bereits in dem Moment zugespitzt hatte, als Platonow, ein operativer Mitarbeiter des Innenministeriums, in den Unterlagen des Uralsker Betriebs zu wühlen begonnen hatte, konnte so ein Schütze Gold wert sein. Gleich heute abend wollte Sajnes seine Leute losschicken, damit sie nach ihm suchten. Obwohl ihn ja eigentlich schon die Miliz sucht, dachte er, und die ist bei uns gut ausgebildet und sehr gewissenhaft. Soll sie ihn suchen, besser als die Miliz können meine Leute diese Arbeit auch nicht machen. Man muß den Bullen nur auf den Fersen bleiben, und wenn es soweit ist, muß man ihnen zuvorkommen und ihnen den Braten vor der Nase wegschnappen. Zum Glück gibt es bei uns noch Leute, die so etwas können.
FÜNFTES KAPITEL
1
Kiras Wohnung war nicht groß, aber gemütlich. Zurückgekehrt aus dem Restaurant, setzte sie als erstes Teewasser auf, forderte Platonow auf, in der Küche Platz zu nehmen, und ging sich umziehen. Sie kam in einem knöchellangen, goldfarbenen Morgenmantel zurück, der ihre schönen Beine gänzlich verhüllte, dafür aber über ihren Brüsten verführerisch offenstand.
»Hör zu, Kira«, sagte Platonow zögernd, »du hast immer noch die Möglichkeit, dein Angebot zurückzunehmen. Du bist mir gegenüber zu nichts verpflichtet, und die Sache kann schwierig und sogar gefährlich für dich werden. Ich habe dir ja bereits gesagt, daß du, wenn du mir tatsächlich helfen willst, Urlaub nehmen und mit mir zusammen zu Hause sitzen mußt. Denk noch einmal darüber nach! Wenn du dich nicht auf das Risiko einlassen willst, dann werde ich heute einfach nur bei dir übernachten und morgen früh wieder gehen, und du wirst mich nie Wiedersehen, es sei denn zufällig, wie heute. Solltest du aber entschlossen sein, mir zu helfen, werde ich dir jetzt alles der Reihe nach erzählen, damit du Bescheid weißt und den Sinn meiner Wünsche und Bitten an dich verstehst. Es ist mir sehr wichtig, daß du alles weißt und verstehst, denn jemand, der nicht versteht, worum es geht, begeht sehr leicht Fehler. Also? Willst du es dir noch mal überlegen?«
»Nein«, sagte Kira lächelnd. »Erzähl! Ich bin bereit, mir deine Geschichte anzuhören.«
»Du wirst es bereuen«, warnte Platonow.
Alles lief glatt. Die lange Vorrede, die er eben gehalten hatte, bestand von Anfang bis Ende aus Ködern, auf die Frauen gewöhnlich anbissen. In erster Linie hatte er ihre Neugier geweckt. Wenn du mir nicht helfen willst, hatte er gesagt, werde ich gehen, ohne etwas zu erzählen, aber wenn ich bleibe, erfährst du alles, was du wissen willst. Und er hatte ihr scheinbar die freie Wahl gelassen. Denk noch einmal nach, hatte er gesagt, und entscheide dich erst dann. Aber alles das war natürlich Humbug. Sie hatte sich längst entschieden, sonst hätte sie ihn nicht nach Hause mitgenommen. Und
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