Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
Vom Netzwerk:
dann war da natürlich noch die Wichtigkeit, die Bedeutung, die er ihr und ihrer Mission verlieh. Sie mußte alles wissen und verstehen, um ja keinen Fehler zu machen, weil so viel von ihr abhing.
    »Meine Lehrerin in der Schule hat einmal gesagt, daß es immer besser ist, das zu bereuen, was man gemacht hat, als das, was man nicht gemacht hat. Also, erzähl!«
    »Nun gut . . .« Platonow seufzte. »Dann hör zu. Vor acht Monaten hat ein Mann namens Sypko der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, daß in dem Betrieb, in dem er arbeitet, irgendwelche dunklen Geschäfte getätigt werden. Erzeugnisse der Raketenbauindustrie, die im Zuge der Produktumstellungen keine Anwendung mehr fanden, wurden, anstatt in anderen russischen Betrieben entsprechend weiterverarbeitet zu werden, plötzlich an irgendeine dubiose GmbH verhökert. Sypko ist in diesem Betrieb Buchhalter, zuständig für Edelmetalle, und da diese Erzeugnisse viel Edelmetall enthalten, hatte er automatisch damit zu tun. Eines Tages ist ihm aufgefallen, daß die Produkte, die bisher immer zur Weiterverarbeitung an andere Betriebe gingen, plötzlich irgendwohin zu verschwinden begannen. Ist bisher alles klar?«
    Kira nickte.
    »Bis jetzt schon. Soll ich dir Tee eingießen?«
    »Ja, sei so nett. Sypko schreibt also einen Brief an die Staatsanwaltschaft, diese leitet den Brief an unser Ministerium weiter, und schließlich landet der Brief auf meinem Tisch, weil ich im Hauptkomitee zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens arbeite. Der Betrieb, um den es geht, befindet sich in Uralsk. Ich fuhr dorthin und setzte mich mit dem Mitarbeiter der Miliz in Verbindung, der für diesen Betrieb zuständig ist, einem gewissen Slawa Agajew. Ein sehr netter, gescheiter Bursche. Wir verstanden uns gut und begannen zusammenzuarbeiten. Jetzt mußt du eines verstehen, Kira, das ist wichtig. Wenn ein Mord begangen wird und die Aufklärungsarbeit beginnt, dann macht daraus niemand ein Geheimnis. Eine Leiche ist eine Leiche, die Tatsache, daß ein Mensch eines gewaltsamen Todes gestorben ist, ist offensichtlich, und es kommt niemandem in den Sinn, das zu verheimlichen. Wenn es sich um Betrug handelt, ist die Situation eine grundsätzlich andere. Das Verbrechen ist nicht zu sehen, man kann es ahnen, man kann sogar genau wissen, daß es stattfindet, aber um es wirklich sehen zu können, braucht man eine Menge Beweismaterial. Und wenn auch nur eine einzige Unterlage fehlt, hat man bei Gericht keine Chance. Daß dieser Sypko einen Brief geschrieben hat, bedeutet noch gar nichts. Vielleicht lügt er, vielleicht irrt er sich, vielleicht will er sich an jemandem rächen. Deshalb dauert die Ermittlungsarbeit in solchen Fällen Monate, manchmal sogar Jahre. Man muß sehr vorsichtig, in kleinen Schritten vorgehen, damit die Täter nichts merken. Sonst würden sie sofort alle Unterlagen vernichten, und wie willst du ihren Betrug dann beweisen? Agajew und ich begannen, uns heimlich, still und leise an die Sache heranzutasten. Und Sypko wird indessen immer ungeduldiger, solche wie ihn nennt man bei uns ›Rächer des Volkes‹. Es sind gute, anständige Menschen, aber sie machen zuviel Lärm. Er begreift nicht, daß jede Anschuldigung erst bewiesen werden muß, bevor der Täter bestraft werden kann, daß es dafür eine Rechtsordnung gibt, Gerichte und Staatsanwälte. Er will nichts davon wissen, wie mühsam und langwierig die Beweisaufnahme ist. Er, der ›Rächer des Volkes‹, hat einen Brief an die Staatsanwaltschaft geschrieben und will sofort Resultate sehen. Aber diese Resultate bleiben aus irgendeinem Grund aus.«
    Dmitrij machte eine ausdrucksvolle Handbewegung, dann nahm er einen großen Schluck von dem starken Tee mit Zitrone.
    »Also schreibt unser Sypko etwa drei Monate später noch einen Brief, in dem er wutentbrannt fordert, die Verantwortlichen im Betrieb endlich zur Rechenschaft zu ziehen. Zu dieser Zeit leitete das Ressort, in dem ich arbeite, noch mein alter Chef, der über die Situation der Ermittler sehr gut Bescheid wußte. Er las Sypkos Brief, legte ihn ab, und das war’s. Er sagte mir nicht einmal etwas von der Beschwerde, um mich nicht zu beunruhigen. Ich ermittle also weiter und versuche herauszufinden, was für eine Sippschaft sich hinter einer Firma namens Artex verbirgt und wer dieser Firma die Lizenz zum Weiterverkauf der Geräte ins Ausland erteilt hat. Langsam, vorsichtig taste ich mich voran, wie ein Dieb in der Nacht, Slawa Agajew recherchiert einstweilen in Uralsk,

Weitere Kostenlose Bücher