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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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berichtigte ihn Kira.
    »Nein, hundertsiebenundzwanzig. Morgen früh wirst du Russanow anrufen, dich entschuldigen und ihm sagen, daß du dich geirrt hast.«
    »Aber warum denn, Dima? Du hast doch gesagt, Russanow sei dein Freund. Traust du ihm nicht?«
    »Meine Liebe, wenn man dich der Bestechlichkeit und zweier Morde verdächtigt, dann traust du sogar dir selbst nicht mehr. Du sitzt da und denkst: ich weiß zwar genau, daß ich kein Geld genommen und niemanden ermordet habe, aber bei der Miliz sitzen ja auch keine Dummköpfe, und wenn sie mich so ernsthaft verdächtigen, dann müssen sie schwerwiegende Gründe haben. Habe ich das alles womöglich doch getan und erinnere mich einfach nur nicht mehr? Kurz, heute abend müssen die Unterlagen in dem Schließfach deponiert werden, und dann mußt du Kasanzew anrufen. Er wird dir Namen und Telefonnummern nennen, du darfst nichts aufschreiben, du mußt alles im Kopf behalten. Kannst du das?«
    »Ich werde mir Mühe geben«, sagte Kira mit einem spöttischen Lächeln.
    »Ja, ich bitte dich darum, gib dir Mühe. Nach dem Telefonat mit Kasanzew erwarte ich deinen Anruf. Laß es erst zweimal läuten, dann dreimal, dann viermal, so werde ich genau wissen, daß du es bist, und abnehmen. Du berichtest mir, was Kasanzew in Erfahrung bringen konnte, und dann werde ich dich vielleicht bitten, noch einmal anzurufen.«
    »Und wie ist es mit morgen? Wirst du mich morgen brauchen?«
    »Vielleicht. Hast du etwas vor?«
    »Ich habe dir schon gesagt, daß meine Eltern auf der Datscha wohnen, und ich muß sie jedes Wochenende mit Lebensmitteln versorgen. Aber das dauert erstens nicht den ganzen Tag, ich muß dort nicht übernachten, sondern kann einfach die Lebensmittel abliefern und sofort wieder nach Moskau zurückfahren, und zweitens kann ich, falls du mich morgen den ganzen Tag brauchst, heute spät abends fahren, mit dem letzten Zug, und morgen komme ich frühzeitig zurück. Während der Nacht brauchst du mich ja nicht, oder?«
    »Kira, mach es so, wie es für dich am bequemsten ist«, sagte Platonow verlegen.
    Natürlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie am heutigen Abend weggefahren und am nächsten Morgen zurückgekehrt wäre. Er hätte sich richtig ausschlafen können, ohne ständig den Geräuschen aus dem Nebenzimmer lauschen zu müssen und ohne jedes Mal zusammenzuzucken, wenn er den Eindruck hatte, daß Kira sich von ihrem Bett erhob, um zu ihm in die Küche zu kommen. Wieder stellte er mit Erstaunen fest, daß diese schöne und offensichtlich sehr kluge Frau keine Begierde in ihm weckte. War er denn so völlig aus dem Gleis geraten, daß er in einer anziehenden jungen Frau nichts anderes mehr sehen konnte als seine Hilfe und Stütze in der Not, als seinen vorübergehenden Unterschlupf?
    »Wir werden sehen, wie die Situation sich bis zum Abend entwickelt«, beschloß Kira. »Vielleicht nimmt ja alles ein gutes Ende, und du kannst wieder nach Hause gehen.«
    »Daran ist gar nicht zu denken. In solchen Fällen gibt es keine schnellen Lösungen, das dauert länger.«
    »Was heißt länger?«
    Platonow hatte den Eindruck, daß Kira sich plötzlich angespannt hatte. In ihren Augen sah er wieder das Aufflammen des dunklen Feuers, und wieder konnte er nicht deuten, was da in ihr brannte. Gestern hatte sie ihn als feinfühlige und großzügige Gastgeberin nicht danach gefragt, wie lange er bei ihr wohnen wollte. Sie hatte einem Fremden, der ins Unglück geraten war, freiwillig ihre Hilfe angeboten, und sie hatte nicht im selben Atemzug fragen können, wie lange er diese Hilfe benötigen würde. Inzwischen hatte sie mit kühlerem Verstand nachgedacht und wollte natürlich Genaueres wissen. Vielleicht war sie nur vorübergehend allein, vielleicht hatte sie einen Freund, dessen Besuch sie in nächster Zeit erwartete, und dann würde Dmitrij Platonows Anwesenheit in der Wohnung ganz und gar unangebracht sein.
    »Mindestens eine Woche«, sagte er bestimmt. »Laß uns Tacheles reden, Kira. Ich bin glücklich, daß ich dich gestern getroffen habe und daß du dich bereit erklärt hast, mir zu helfen, aber ich betrachte das als ein unerwartetes und unverdientes Geschenk des Schicksals, und das Schicksal hat das Recht, mir dieses Geschenk jederzeit wieder wegzunehmen. Sobald meine Anwesenheit in deiner Wohnung für dich auch nur im geringsten zur Last wird, sobald du dich auch nur im geringsten eingeengt fühlst, werde ich sofort gehen und dich in Ruhe lassen. Und dabei werde ich dich nicht

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