Mit verdeckten Karten
Praktikantin der juristischen Fakultät hingab. Es gab nichts, das Valerij Petrowitsch zwang, am Samstag zur Arbeit zu gehen, aber da er kein eigenes Büro besaß, geschweige denn eine Zweitwohnung, mußte er der Festigung der freundschaftlichen Beziehungen mit der Praktikantin einen seiner zwei freien Tage opfern.
Valerij Petrowitsch war von großer Statur und verfügte über einen so mächtigen Baß, daß selbst dann, wenn er sich aufrichtig bemühte, leise zu sprechen, es den anderen so vorkam, als füllte sich das Zimmer mit einem gleichmäßigen, gedämpften Donner.
Das Telefon klingelte direkt neben dem Ohr des auf dem Tisch liegenden Mädchens. Es hob unwillig den Kopf und sah Kasanzew fragend an. Valerij Petrowitsch griff nach dem Hörer, ohne dabei die Hand vom Schenkel der zukünftigen Koryphäe der Kriminologie zu nehmen.
»Valerij Petrowitsch?« sagte eine unbekannte Frauenstimme im Hörer.
»Ja, das bin ich.«
»Dima Platonow hat mich gebeten, Sie an Katja aus Omsk zu erinnern.«
Kasanzew nahm vor Überraschung die Hand von der Stelle, an der sie so behaglich und selbstgewiß gelegen hatte.
»Ja, ich erinnere mich an Katja aus Omsk«, sagte er so ruhig wie möglich. »Was ist mit Dima?«
»Alles in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen! Er hat eine Bitte an Sie. Bringen Sie bitte in Erfahrung, wer in der Petrowka in folgenden Mordfällen ermittelt: Jurij Tarassow aus dem Staatlichen Zentrum für Internationale Beziehungen und Wjatscheslaw Agajew aus Uralsk. Dima braucht die Namen, die privaten und dienstlichen Telefonnummern und einige Angaben zu den Personen. Wann darf ich wieder anrufen?«
»Zwischen sieben und acht Uhr abends bei mir zu Hause. Haben Sie meine private Telefonnummer?«
»394 10 59?«
»Richtig. Sagen Sie Dima, daß ich alles besorgen werde.«
Er hatte den letzten Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als aus dem Hörer bereits die kurzen schnellen Zeichen an sein Ohr drangen, die besagten, daß aufgelegt worden war.
Kasanzew warf einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr. Es wäre nicht sehr fein und gentlemanlike gewesen, das Mädchen jetzt sofort hinauszuwerfen, lieber wollte er das so angenehm Begonnene schnell zu Ende bringen und sie dann zum Ausgang begleiten. Es würde viel Zeit in Anspruch nehmen, Dimas Bitte zu erfüllen, aber er konnte sie ihm nicht abschlagen. Zu der Zeit, als sie noch zusammen auf der Polizeischule waren, war Valerij Kasanzew in eine schwerwiegende, sehr heikle Geschichte mit einer Studentin des Pädagogischen Instituts geraten. Die Sache war so ungut, daß Valerij seinen ganzen Mut zusammennehmen mußte, um jemandem davon zu erzählen, und dieser Jemand war damals Dmitrij Platonow gewesen. Das Mädchen hieß Katja, und seitdem bezeichneten die Worte »Katja aus Omsk« eine Situation, die absolutes gegenseitiges Vertrauen, sofortige Hilfe und strenge Geheimhaltung verlangte. Der Untersuchungsführer Kasanzew hatte diese magischen Worte in den letzten zwei Jahrzehnten sehr viel öfter gebraucht als der operative Mitarbeiter Platonow.
»Ich danke dir, Kleines«, sagte Valerij Petrowitsch höflich. »Wollen wir heute abend zusammen irgendwo hingehen?«
»Willst du mich loswerden?« fragte die Praktikantin gekränkt.
»Kleines, du hast doch gehört, daß ich eben angerufen wurde, ich habe in dringenden Angelegenheiten zu tun.«
Kasanzew strich hastig seinen Anzug glatt, überprüfte, ob alles an seinem Platz war, ob kein Knopf mehr offenstand, dann zog er den Rock des Mädchens zurecht und strich ihr zärtlich über die Schulter.
»Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Laß uns gehen, ich begleite dich zum Ausgang.«
»Der Anruf kam von einer Frau«, widersprach die Praktikantin trotzig, ohne sich von der Stelle zu rühren. Sie hatte die Hände hinter dem Rücken versteckt und weigerte sich, die Handtasche entgegenzunehmen, die Kasanzew ihr ungeduldig hinhielt.
»Es war ein Anruf in einer dienstlichen Angelegenheit. Mit dieser Sache muß ich mich jetzt beschäftigen, und zwar sofort. Schluß, Kleines, hör auf zu schmollen! Wir sehen uns am Montag wieder.«
Das Mädchen ging mit einem beleidigten Schulterzucken, Valerij Petrowitsch Kasanzew setze sich an seinen Schreibtisch und nahm den Hörer vom Telefon.
2
Die zweite Person, die Kira anrief, war Sergej Russanow. Sie sagte ihm wortwörtlich, was Dmitrij ihr aufgetragen hatte. »Dima möchte Ihnen Unterlagen übergeben . . .«
»Wo ist er?« unterbrach Russanow die Anruferin ungeduldig.
Weitere Kostenlose Bücher