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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Dann durften sie ihre Posten keine Sekunde mehr verlassen, einer mußte bei den Schließfächern stehen, der andere draußen auf dem Bahnsteig, und dabei mußten sie ständig Blickkontakt halten.
    Es war bereits gegen sieben Uhr, als dem Älteren plötzlich Ungutes schwante. Die Halle betrat eine sehr schöne Frau mit üppig gelocktem, kastanienbraunem Haar. Und obwohl sie dem Schließfach mit der Nummer siebenundzwanzig keine Beachtung schenkte, sondern ohne Eile zum anderen Teil der Halle hinüberging, sagte ihm sein siebter Sinn, daß sie es war. Vielleicht hatte er die Nervosität gespürt, die von der Frau ausging, vielleicht hatte er mit der Nase eines Spürhundes ihre Angst gerochen, vielleicht kam ihm seine langjährige Erfahrung zugute. Er gähnte träge, ohne die Hand vor den Mund zu halten, und registrierte durch die Augenwinkel, daß sein auf dem Bahnsteig stehender Cousin das Signal empfangen hatte und sich sofort zur Halle begab, in den Nachbarraum, in dem die Frau verschwunden war. Der Ältere ging hinaus auf den Bahnsteig, jetzt hatten die beiden die Rollen getauscht. Durch das Fenster sah er seinen Partner, der, an die Wand gelehnt, in einer Ecke des Raumes stand, in dem die Frau jetzt das Schließfach mit der Nummer einhundertsiebenundzwanzig öffnete. Ein alter, gut bekannter Trick, dachte er, trotzdem sehr wirkungsvoll, wenn du deinem Partner nicht ganz traust und seine Loyalität überprüfen willst. Sollte er sich als vertrauenswürdig erweisen und erraten, daß er auf die Probe gestellt wurde, kannst du dich immer dumm stellen. Du kannst behaupten, daß du die Nummer verwechselt hast, daß der andere sich verhört hat oder sonst etwas in dieser Art. Zu diesem Zweck werden Nummern ausgesucht, die leicht zu verwechseln sind. Zum Beispiel 96 und 98. Das innere Auge speichert zwei Zahlen, die beide aus Rundungen bestehen, und später erinnert man sich plötzlich nicht mehr. 27 und 127 sind eigentlich nicht zu verwechseln, aber da in diesem Fall ein Zwischenglied an der Sache beteiligt ist, eine Frau, kann man die Schuld auf sie abwälzen, darauf, daß sie sich verhört oder etwas durcheinandergebracht hat.
    Die Frau legte ein großes braunes Kuvert ins Fach, gab an der Innenseite der Tür den Code ein und schloß das Fach. Der Ältere, der auf dem Bahnsteig stand, machte eine unmerkliche Bewegung. Bleib ihr auf den Fersen, bedeutete das. Der Jüngere streckte sich ein wenig und strich mit der Hand unsichtbare Schmutzpartikel von seinem Mantel ab. Er hatte den Auftrag verstanden und würde ihn erfüllen.
    6
    Er erwartete Kiras Anruf mit einer solchen Unruhe und Spannung, daß seine Hand dem Läuten des Telefons fast zuvorkam. Er berührte den Hörer und zuckte zurück. Zwei Klingelzeichen. Pause. Drei Klingelzeichen. Natürlich war das Kira, wozu noch länger warten, er konnte abnehmen, um endlich zu erfahren, welche Neuigkeiten es gab, aber die gewohnte Vorsicht und Diszipliniertheit gewannen die Oberhand. Vier Klingelzeichen. Pause. Beim nächsten Läuten konnte er sicher sein und antworten.
    »Ich sage dir gleich alles, bevor ich es vergesse«, hörte er Kira hastig sagen. »Lesnikow, Igor Valentinowitsch, Dienstnummer . . . Privatnummer . . . Kamenskaja, Anastasija Pawlowna, Dienstnummer . . . Privatnummer . . . Korotkow, Jurij Viktorowitsch . . . Und außerdem dein Freund Russanow. Er weiß auch nicht, warum man ihn in das Ermittlerteam einbezogen hat, jedem ist bekannt, daß ihr befreundet seid, aber General Satotschny hat es so gewollt.«
    Dmitrij hatte die Namen und Telefonnummern eilig mitgeschrieben, erstaunt darüber, daß Kira sich das alles tatsächlich hatte merken können. Oder hatte sie gegen seine ausdrückliche Anweisung alles mitgeschrieben, was Kasanzew ihr gesagt hatte?
    »Du bist ein kluges Kind«, sagte Platonow mit unerwarteter Zärtlichkeit in der Stimme. »Jetzt können wir uns entspannen. Was hat Valerij Petrowitsch dir über die Leute gesagt?«
    »Lesnikow ist zum zweiten Mal verheiratet und hat ein kleines Kind. Die Familie ist sehr wohlhabend, aber das Geld kommt von seiner Frau. Er gilt als der am besten aussehende Mann bei der ganzen Moskauer Kriminalbehörde. Ein schwieriger Charakter, er soll sehr ernst und unnachgiebig sein und selten lächeln. Die Kamenskaja ist ledig, heiratet aber in sechs Wochen. Man sagt, mit ihr sei nicht gut Kirschen essen, man sollte sich am besten nicht mit ihr einlassen. Völlig unberechenbar, eine perfekte Schauspielerin, die jeden um

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