Mit verdeckten Karten
spätestens einem Monat sind wir Mann und Frau.«
»Und warum weiß Dascha nichts davon? Warum sagst du ihr nicht, was du mir soeben gesagt hast?«
»Nastja, das ist schwer zu erklären . . .«
»Versuch es wenigstens!« sagte Nastja angriffslustig. Sie schämte sich, weil sie so schlecht von ihrem Bruder gedacht hatte, und sie ärgerte sich, weil er sie mit seiner Heimlichtuerei soweit gebracht hatte.
»Schwör mir, daß du mich nicht auslachen wirst.«
»Ich schwöre.«
»Ich möchte, daß alles wie im Märchen ist. Verstehst du? Wenn Dascha mir Fragen stellen würde, würde ich ihr natürlich ehrlich antworten, aber sie fragt nicht, und so habe ich mir vorgenommen, sie zu überraschen. Sie braucht nicht zu wissen, daß alles bereits geregelt ist. Wenn es soweit ist, werde ich zu ihr kommen, sie ins Auto setzen und mit ihr zum Standesamt fahren. Und von dort gleich in die neue Wohnung.«
»Sascha, du. . .«
»Was?«
»Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll . . . Aber du bist auf dem Holzweg.«
»Warum?«
»Weil Dascha dein Kind unter dem Herzen trägt, und es ist nicht gut für sie, wenn sie bedrückt und bekümmert ist. In ihrem Zustand muß sie sich freuen und glücklich sein. Solange sie nicht Bescheid weiß, leidet sie. Verstehst du das nicht?«
»Aber ich möchte so gern, daß es wie ein Wunder ist. Verstehst du?«
»Ich verstehe, aber Sascha, Lieber, Wunder dieser Art bescheren den Menschen in der Regel kein Fest, sondern nur Unannehmlichkeiten.«
»Wieso?« fragte Alexander erstaunt.
»Stell dir vor, du kommst am Hochzeitstag überraschend zu Dascha und fährst mit ihr zum Standesamt. Wer wird dann ihr Trauzeuge sein? Gewöhnlich suchen sich Frauen dafür eine enge Freundin aus, und überhaupt ist es üblich, ein paar nahestehende Menschen zur Trauung einzuladen. Aber du erscheinst wie ein Engel vom Himmel, um mit Dascha zum Standesamt zu fahren, und da wird kein Trauzeuge sein, niemand von ihren Freundinnen, kein Hochzeitskleid, und überhaupt wird sie an diesem Tag vielleicht schlecht aussehen, vielleicht wird sie sich nicht gut fühlen und einen Termin beim Arzt haben. Hast du das alles nicht bedacht?«
»Danke, daß du mich daran erinnert hast«, sagte Sascha trocken. »Ich werde mich vorher mit ihren Freundinnen in Verbindung setzen und mit ihnen zusammen bei Dascha erscheinen. Dein Pragmatismus kann auch dem dümmsten Optimisten die Laune verderben.«
Nastja fühlte, wie ihr die Röte in die Wangen schoß. Mit übermäßigem Zartgefühl hatte die Natur sie weiß Gott nicht ausgestattet. Ein nicht gerade schöner, ungeliebter kleiner Junge war zu einem nicht gerade schönen, ungeliebten Mann herangewachsen, den seine Frau nur wegen des Geldes geheiratet hatte. Nun hatte er das Glück gehabt, einem wunderbaren Mädchen zu begegnen, das ihn aufrichtig und selbstlos liebte. Konnte er da der Versuchung widerstehen, in die Rolle des Märchenprinzen zu schlüpfen? Durfte man ihn deshalb verurteilen? Vielleicht würde die Stunde, in der er Dascha an die Hand nehmen und ins Auto setzen würde, um mit ihr zum Standesamt zu fahren, die schönste seines Lebens sein, seine Sternstunde. Vielleicht konnte er gar nichts Besseres tun als das.
»Verzeih!« sagte Nastja schuldbewußt. »Ich wollte dich nicht kränken. Soll ich Dascha ans Telefon rufen?«
»Nicht nötig. Sag ihr, daß ich sie um elf abhole. Und noch etwas, Nastja. . .«
»Ja?«
»Versprich mir, daß du ihr nichts sagst. Auch wenn es gegen deine Prinzipien geht.«
»Ich verspreche es.«
Als das Abendessen fertig war, schlich Nastja sich auf Zehenspitzen zum Zimmer, in dem Dascha hantierte, und warf einen Blick durch den Türspalt. Dascha sortierte andächtig die Kleidungsstücke. Sie legte die Blusen und Jacken aufs Sofa, die Röcke und Hosen auf einen, die Kleider auf einen anderen Sessel, die Schals, Tücher, Gürtel und andere Accessoires auf den Schreibtisch, neben den Computer.
»Dascha, das Abendessen ist fertig«, rief Nastja, nachdem sie sich wieder ein paar Schritte in Richtung Küche entfernt hatte.
Nachdem sie auf die Schnelle gegessen hatten, begannen sie mit der Kleiderprobe, einer Beschäftigung, die Nastja aus tiefster Seele zuwider war. Nastjas Mutter arbeitete in Schweden, die Sachen, die sie ihrer hageren, großgewachsenen Tochter schickte oder mitbrachte, waren dank ihres erlesenen Geschmacks sehr elegant und saßen ausgezeichnet. Dascha gelang es in ziemlich kurzer Zeit, mindestens vier Kombinationen
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