Mit verdeckten Karten
allerdings eine ganz andere als die erwartete.
»Guten Abend«, sagte die Stimme höflich. »Kann ich bitte mit Iwan Alexejewitsch sprechen?«
»Pa, für dich!« rief Maxim. »Aber bitte nicht so lange«, fügte er mit leiser, flehender Stimme hinzu. »Ich erwarte einen Anruf von Mila.«
»Schon gut«, flüsterte sein Vater zurück und nahm den Hörer.
»Ja bitte.«
»Iwan Alexejewitsch, ich rufe Sie wegen Platonow an. Können Sie mir schon etwas sagen?«
»Nein, kann ich nicht. Was sollte ich Ihnen denn sagen?«
»Sehr schade. Wenn die Glieder der Kette alle in Ordnung wären, dann hätten Sie mir längst gesagt, daß Platonow unschuldig ist und daß er aus seinem Versteck herauskommen kann. Suchen Sie das defekte Glied in der Kette, Iwan Alexejewitsch. Ich rufe Sie bald wieder an.«
Die Frau hängte den Hörer ein. Suchen Sie das defekte Glied in der Kette! Das war leicht gesagt. Satotschny holte aus seiner Jacke, die über der Stuhllehne hing, schnell sein Notizbuch heraus und wählte die Nummer von Oberst Gordejew.
»Wer ist für den Mordfall Agajew und die Fahndung nach Platonow zuständig?« fragte er.
»Von meinen Leuten sind es Lesnikow, Korotkow und die Kamenskaja. Vom Ministerium Oberstleutnant Russanow. Steht die Sache unter Ihrer Aufsicht?«
»Sie können davon ausgehen. Offiziell befaßt sich die Hauptverwaltung der Kripo damit, aber ich verfolge die Sache sehr genau mit.«
»Darf ich erfahren, warum?«
»Weil Platonow zu meinen Mitarbeitern gehört. Viktor Alexejewitsch, ich würde mich gern mit Ihnen treffen.«
»Ist es dringend?«
»Ja, sehr dringend.«
»Morgen früh?« schlug Gordejew vor.
»Ja, in Ordnung.«
»Wann soll ich bei Ihnen sein?«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich lieber zu Ihnen kommen. Würde es Ihnen um acht Uhr passen?«
»Ich erwarte Sie.«
Satotschny ging in die Küche und setzte sich auf die breite Fensterbank, das war sein Lieblingsplatz, wenn er in Ruhe nachdenken mußte. Vier Personen, drei von der Hauptverwaltung für Innere Angelegenheiten, einer aus dem Ministerium. Wen von ihnen hielt die Frau, die heute zum zweiten Mal angerufen hatte, für das defekte Glied in der Kette? Er, General Satotschny, mußte verstehen, worum es hier ging. Die Frau hatte Platonows Schicksal in seine Hände gelegt.
Die Worte der Unbekannten konnten nur eines bedeuten. Sie rief mindestens zwei der vier Ermittler an und gab ihnen verschiedene Informationen. Nur wenn man diese Informationen zusammenfaßte, konnte das einen Lichtstrahl in die dunkle Geschichte mit Agajew und Platonow werfen. Vielleicht rief die Frau sogar alle vier Ermittler an. Und die Informationen, die sie ihnen gab, mußten bei ihm, Satotschny, zusammenlaufen. Doch aus irgendeinem Grund berichtete ihm niemand aus dem ruhmreichen Quartett von den Anrufen der geheimnisvollen Unbekannten. Angenommen, den Ermittlern von der Petrowka kam es gar nicht in den Sinn, General Satotschny in Kenntnis zu setzen, weil sie ihn nicht persönlich kannten? Aber ihrem Chef, Oberst Gordejew, hätten sie auf jeden Fall Bericht erstatten müssen. Und Gordejew hätte ihn in diesem Fall unbedingt in die Sache einweihen müssen, weil er wußte, daß Sergej Russanow auf seine, Satotschnys, Initiative in das Ermittlerteam einbezogen worden war. Sollte das defekte Glied in der Kette Oberst Gordejew selbst sein? Ein unangenehmer Gedanke. Aber auch das mußte als mögliche Variante in Betracht gezogen werden.
Das morgige Gespräch in der Petrowka würde nicht einfach werden. Das war Iwan Alexejewitsch klar. Man durfte niemandem Unrecht tun, aber blind glauben durfte man auch niemandem.
Das erneute Läuten des Telefons riß Satotschny aus seinen schweren Gedanken. Gleich darauf erschien sein Sohn in der Küche.
»Papa, wieder für dich. Wieder eine Frau.«
»Dieselbe?« fragte der General erwartungsvoll.
»Nein, eine andere. Bei dir ist wohl gerade Hochkonjunktur, was?«
»Du Schlingel.« Der General gab Maxim einen scherzhaften Klaps auf den Hinterkopf und ging mit schnellen Schritten ins andere Zimmer, zum Telefon.
»Ich höre.«
»Iwan Alexejewitsch, hier spricht Major Kamenskaja von der Moskauer Kripo. Entschuldigen Sie, daß ich so spät anrufe, aber es geht um eine unaufschiebbare Angelegenheit . . .«
3
Gegen Morgen gab es einen drastischen Wetterumsturz. Eine ganze Woche lang war es warm und sonnig gewesen, es hatte ganz nach einem frühen, ungestümen Frühling ausgesehen, aber jetzt war es wieder Winter. Ein
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