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Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Titel: Mit Worten kann ich fliegen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Draper
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Beim ersten Mal hatte ich zu ihr aufgesehen, als wäre sie verrückt geworden. Ich weinte. Ich kreischte. Sie beachtete mich gar nicht, ging weg und schaltete ihren CD-Player ein. Laute Marschmusik schmetterte durchs Zimmer. Das gefiel mir.
    Dann kam sie zurück und legte mein Lieblingsspielzeug – einen Gummiaffen – ein paar Zentimeter von meinem Kopf entfernt auf den Boden. Ich wollte diesen Affen. Er quietschte, wenn man ihn anfasste. Aber er hätte genauso gut kilometerweit weg sein können. Ich lag auf dem Rücken und saß fest wie eine Schildkröte. Ich schrie lauter.
    Mrs V. setzte sich auf die Decke. »Dreh dich um, Melody«, sagte sie ruhig. Manchmal kann sie ihre Stimme richtig weich klingen lassen.
    Ich war so schockiert, dass ich aufhörte zu brüllen. Ich konnte mich nicht umdrehen. Wusste sie das nicht? War sie irre?
    Sie wischte mir die Nase mit einem Taschentuch. »Du kannst dich alleine umdrehen, Melody. Ich weiß, dass du alles verstehst, was ich sage, und ich weiß, dass du es kannst. Also, roll dich herum!«
    Tatsächlich hatte ich mir nie wirklich Mühe gegeben, mich irgendwohin zu rollen. Ein paarmal war ich vom Sofa gefallen, und das hatte wehgetan, also wartete ich für gewöhnlich auf Mom oder Dad, damit sie mich in eine bequeme Lage umbetteten.
    »Schau dir an, wie du liegst. Du bist schon auf der Seite – halb geschafft. Bündle all die Energie, die du zum Schreien und Brüllen aufwendest, und nutze sie, um dich in eine andere Position zu manövrieren!«
    Und das tat ich dann. Ich legte mich ins Zeug. Ich streckte mich. Ich strengte mich so an, dass ich furzen musste! Mrs V. lachte sich schlapp. Aber langsam, langsam, merkte ich, wie mein Körper nach rechts rollte. Und dann – es war unglaublich. Plumps! Ich lag auf dem Bauch. Ich war so stolz auf mich, dass ich kreischte.
    »Ich hab’s dir doch gesagt«, rief Mrs V. triumphierend. »Jetzt hol dir den Affen!«
    Ich wusste, dass zu protestieren zwecklos war. Also streckte ich mich danach. Der Affe lag jetzt nur noch fünf Zentimeter von meiner Hand entfernt. Ich versuchte, vorwärts zu rutschen. Meine Beine taten das Gegenteil von dem, was mein Kopf von ihnen verlangte. Ich zappelte. Ich krallte mich mit einer Hand in die Decke und zog. Der Affe kam näher!
    »Du bist ein cleverer kleiner Keks«, sagte Mrs V.
    Ich zog noch einmal an der Decke und schließlich, allmählich, hielt ich den Affen in meiner Hand. Ich quetschte ihn und er quietschte, als würde er sich freuen, mich zu sehen. Ich grinste und ließ ihn immer wieder quietschen.
    »Nach so viel Fitnesstraining musst du hungrig sein«, sagte sie.
    Zuerst fütterte sie mich mit einem Vanillemilchshake, dann mit meinem Gemüse und meinen Nudeln. Mrs Valencia serviert
immer
zuerst den Nachtisch. Und ich esse immer alles auf – den gesunden Teil und auch den leckeren. Es ist unser Geheimnis. Mrs V. ist die Einzige, die mich Getränke mit Kohlensäure trinken lässt. Cola. Sprite. Fanta. Ich liebe den Rülpser, der in der Nase kitzelt. Mom und Dad geben mir meistens Milch und Saft. Mein Lieblingsgetränk ist Mello Yello. Mrs V. fing sogar an, mich so zu nennen.
    Bei Mrs V. zu Hause lernte ich zu rutschen und dann zu krabbeln. Ich hätte nie einen Baby-Krabbelwettbewerb gewinnen können, aber als ich drei wurde, hatte ich gelernt, ein Zimmer zu durchqueren. Mit ihrer Hilfe fand ich heraus, wie ich mich alleine vom Bauch auf den Rücken und wieder zurück auf den Bauch drehen konnte. Sie war streng mit mir. Sie ließ mich aus meinem Rollstuhl fallen – auf einen Haufen Kissen –, damit ich lernte, wie ich mich am besten abfangen kann.
    »Stell dir vor, jemand vergisst, deinen Sicherheitsgurt zu schließen«, sagte sie mit einer Stimme, die klang, als würde sie Kies kauen. »Besser, du weißt, was zu tun ist, oder du wirst dir den Schädel einschlagen.«
    Ich wollte keinen eingeschlagenen Schädel, also übten wir.
    Sie brachte mich nach Hause und berichtete Mom, dass ich gut zu Abend gegessen und gut gekackt hätte – ich habe keine Ahnung, warum Eltern so etwas wichtig finden –, dann zwinkerte sie mir zu. Ich war ihre Geheimmission.
    Als ich jedoch mit der Schule anfing, wurde mir klar, dass ich ein weitaus größeres Problem hatte, als bloß aus meinem Stuhl herauszufallen. Ich brauchte Worte. Wie konnte ich etwas lernen, wenn ich nicht sprechen konnte? Wie konnte ich auf Fragen antworten? Oder Fragen stellen?
    Ich kannte eine Menge Wörter, aber ich konnte

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