Mitch - Herz im Dunkeln
er sich hochrappelte. „Dieser verdammte Gaul hätte mich fast umgebracht!“
„Seien Sie still!“ Becca sah nicht einmal in die Richtung des Mannes. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Pferd. Sie sprach nicht laut, doch in ihrer Stimme lag Autorität.
Der Reiter hielt klugerweise den Mund.
Das Pferd stand inzwischen wieder auf allen vier Beinen. Es zuckte noch nervös, tänzelte und zitterte. Becca ging wieder näher heran, während sie sanft auf das Tier einredete. Mit ihren Händen und ihrer Körpersprache signalisierte sie dem Pferd, dass es nichts Bedrohliches zu erwarten hatte.
Sie hätte ebenso gut Löwenbändigerin sein können. Mitch spürte, wie seine eigene Anspannung langsam nachließ, allein durch ihre beruhigende, beinah hypnotisierende Stimme. Während sie sich auf das Pferd konzentrierte, war nichts von der Wut zu ahnen, die sie für den Reiter empfinden musste, der das Pferd gequält hatte.
Eigentlich waren ihre Augen von einem eher unauffälligen Braun. Doch in dem Blick, mit dem sie jetzt das Pferd ansah, lag beinah etwas Engelsgleiches. Für einen Moment stockte Mitch der Atem.
Rebecca Keyes war nicht das, was man landläufig als Schönheit bezeichnen würde. Oh, ihr Gesicht war durchaus hübsch, sogar bezaubernd – ein kleines bisschen zu rundlich vielleicht, was sie jünger aussehen ließ, als sie war. Aber vielleicht war sie ja tatsächlich noch ziemlich jung. Er wusste es nicht mit Sicherheit. Ihre Nase war klein und hatte sogar etwas Kindliches. Die Sommersprossen darauf verstärkten diesen Eindruck noch. Ihr Mund war breit, die Lippen anmutig geschwungen. Das einzige Make-up war dünn aufgetragener Lippenstift. Mitch nahm an, dass sie den auch nur zum Schutz vor der Sonne aufgetragen hatte, nicht um der kosmetischen Wirkung willen.
Doch als sie nun die Hand nach dem zitternden Pferd ausstreckte, strahlte jede ihrer Bewegungen, jedes Wort, jeder Blick eine solch beruhigende Wirkung aus, dass Mitch aufhörte, zu atmen.
Plötzlich sehnte er sich danach, sie möge ihn auf diese Weise ansehen, ihn mit ihren sanften Händen berühren und ihm jenen Seelenfrieden bringen, den er so dringend brauchte.
Stattdessen konnte er nur zusehen, wie sie das Pferd streichelte.
Das Tier schnaubte und tänzelte noch immer nervös zur Seite, doch Becca folgte seinen Bewegungen. „Ist schon gut, Baby“, murmelte sie. „Alles wird wieder gut … Schsch …“ Sie streichelte den Hals des Pferdes. „Siehst du, es ist alles wieder gut. Jetzt trocknen wir dich erst mal ab.“ Sie warf dem Tier die Zügel über den Kopf und führte es langsam zum Stall. „Casey wird sich um dich kümmern“, erklärte sie mit dieser warmen, beruhigenden Stimme. „Und ich werde mich um den Idioten kümmern, der dir wehgetan hat.“
Sie gab Mitch die Zügel, und dann kam der Moment, in dem sich der Ausdruck in ihren Augen veränderte. Ihr Blick war nun kalt und tödlich. Oh ja, sie würde sich um den Reiter „kümmern“.
Doch vorher wandte sie sich an das kleine Mädchen, das beinah niedergetrampelt worden wäre. „Ist alles in Ordnung mit dir, Ash?“
Ashley und Chip standen neben dem Stall und hatten die Arme noch immer umeinandergeschlungen. Das Mädchen nickte, aber der Schreck war ihr noch deutlich anzusehen.
„Chip, lauf ins Büro“, befahl Becca dem kleinen Jungen. „Richte Hazel aus, sie soll eure Eltern ausfindig machen.“ Sie wandte sich wieder an Mitch. „Bringen Sie das Pferd in den Stall.“
Mitch führte das riesige Tier behutsam an den Zügeln in die kühle Stille des Stalls. Er schaute in die großen braunen Augen des Pferdes und erkannte das Misstrauen darin. Er versuchte den Blick vertrauensvoll zu erwidern, merkte aber, dass es nicht funktionierte. In Wahrheit hatte er nämlich nicht die leiseste Ahnung, was zu tun war.
Er wickelte die Zügel um den Pfeiler der nächstgelegenen Box und lauschte mit einem Ohr auf das, was draußen vor dem Stall los war.
„Mr Brown, Sie haben exakt fünfzehn Minuten, um Ihre Sachen zu packen und sich im Büro zu melden“, hörte er Rebecca sagen. Offenbar sprach sie mit dem Mann, der das Pferd geritten hatte. Ihr Ton duldete keinen Widerspruch.
Es gab eine Schnalle, die den Sattel festzuhalten schien. Mitch versuchte sie zu öffnen, doch das Pferd wich schnaubend zur Seite aus. Er war zwar kein Dr. Doolittle, der die Sprache der Tiere beherrschte, aber selbst er verstand die Botschaft. Rühr mich nicht an.
Draußen vor dem Stall ereiferte sich Brown.
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