Mitch - Herz im Dunkeln
„ Ich bin derjenige, der abgeworfen wurde …“
„Sie sind gewarnt worden“, schnitt Becca ihm das Wort ab. Sie klang angespannt vor unterdrücktem Zorn. „Man hat Sie wieder und wieder aufgefordert, diese Sporen bei keinem unserer Pferde zu tragen. Man hat Ihnen außerdem unzählige Male erklärt, nicht an den Zügeln zu reißen. Sie sollten das Pferd genau so behandeln, wie Sie selbst behandelt werden wollen, wenn man Ihnen Zaumzeug angelegt hätte.“
Mitch legte dem Pferd die Hand auf den Rücken. Er ließ sie einfach dort liegen und versuchte, seine Unsicherheit zu verdrängen. Er wusste, dass das Pferd sie spüren würde. Du schaffst das, sagte er sich. Schließlich hatte er genug Western gesehen, um zu wissen, wie es ging. Er musste das Pferd absatteln, dann die Satteldecke herunternehmen und das Tier irgendwie abkühlen.
„Man hat Ihnen wieder und wieder erklärt, dass in der Nähe der Ranchgebäude nur langsames Gehen der Pferde erlaubt ist“, fuhr Becca draußen fort. „Sie hätten Ashley Alden schwer verletzen können. Dieses Mal erhalten Sie von mir keine Verwarnung mehr. Dieses Mal fordere ich Sie auf, Ihre Sachen zu packen und von dieser Ranch zu verschwinden.“
„Ich will den Sheriff sprechen! Ich will einen Krankenwagen! Ich habe mir bei dem Sturz eine Rückenverletzung zugezogen! Ich werde Sie verklagen …“
Mitch tastete erneut nach der Schnalle, diesmal langsamer, aber zugleich weniger unsicher. Das Pferd zuckte und blies Atem aus den Nüstern. Aber Mitch schaffte es. Er nahm den Sattel herunter und setzte ihn auf ein Geländer. Dann konnte er nicht widerstehen und spähte durchs Stalltor hinaus. Draußen hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt – Gäste und Ranchhelfer schauten schweigend zu.
Becca hatte Travis Brown gegen den Holzzaun der Koppel gedrängt. Ihre Augen funkelten zornig. Sie sprach zwar leise, doch in der Stille war ihre Stimme sehr gut vernehmbar.
„Ruf den Sheriff an, Hazel!“, forderte sie die grauhaarige Frau auf, die auf die Stufen vor dem Büro hinausgetreten war. Dabei ließ sie Brown keine Sekunde aus den Augen. „Gut möglich, dass Ted und Janice Alden Mr Brown verklagen wollen, weil er beinahe ihre Tochter umgebracht hat. Fahrlässige Gefährdung – nennt man das nicht so?“
„Sie können mich nicht rauswerfen! Ich bin Anteilseigner.“
„Sie sind ein Idiot“, sagte Becca scharf. „Verschwinden Sie auf der Stelle von dieser Ranch!“
Plötzlich drehte er den Spieß um und kam bedrohlich näher. „Sie kleines Miststück! Wenn Justin Whitlow davon erfährt …“
„Fünfzehn Minuten, Brown.“ Er hatte sich vor ihr aufgebaut, aber Becca ließ sich nicht einschüchtern. Sie behauptete sich gegen diesen Kerl und hob das Kinn, als wollte sie ihn dazu provozieren, die Hand gegen sie zu erheben.
Der Mann ging mit übertriebenem Humpeln an ihr vorbei zu den Gästequartieren.
Becca drehte sich um und wandte sich zuerst an Hazel. „Hast du die Aldens erreicht?“
Die rundliche ältere Frau nickte. „Sie sind unterwegs.“
„Ruf den Sheriff an, falls sie Anzeige erstatten wollen.“
„Schon erledigt.“
Becca ließ den Blick über die Zuschauer schweifen, direkt in seine Richtung. Erst da wurde ihm bewusst, dass er den Stall verlassen hatte, um Becca notfalls gegen Brown zu verteidigen.
„Wie geht es Stormchaser?“, erkundigte sie sich und kam auf ihn zu. „Das arme Schätzchen braucht nach diesem Vorfall eine Therapie.“
„Er schien sich von mir nicht gern anfassen zu lassen“, räumte Mitch ein, während er ihr zurück in den Stall folgte.
Sie warf ihm einen belustigten Blick über die Schulter zu. „ Sie kennt Sie nicht. Deshalb hat sie ein bisschen Angst.“
Das Pferd war also eine Sie. Er hatte nicht einmal daran gedacht, nachzusehen. Er hatte einfach angenommen, da das Pferd so groß und stark war … Man sollte eben nie irgendetwas als gegeben voraussetzen. Damit hatte er gegen eine der wichtigsten Regeln verstoßen und sich selbst ein Bein gestellt.
Regeln. Was denn für Regeln? Er spürte deutlich, dass er nah dran war. All die Antworten lagen dicht am Rand seines Bewusstseins. Er wollte die Augen schließen und irgendwie nach der Wahrheit greifen, um endlich Aufschluss über seine Identität zu bekommen. Aber das ging nicht, denn Rebecca Keyes redete mit ihm.
„Warum haben Sie sie nicht abgekühlt?“, fragte Becca und sah ihn mit ihren scheinbar gewöhnlichen braunen Augen an. Offenbar wiederholte sie die
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