Mitch - Herz im Dunkeln
Name war, wieso konnte er sich dann nicht daran erinnern? „Ja, das bin ich.“
Ein zehnjähriger Junge war im Stall aufgetaucht. Er stand vor Mitch und sah ihn durch seine dicken Brillengläser an. „Ich soll Ihnen ausrichten, dass Sie für mich und Ashley zwei Pferde satteln sollen. Ashley ist meine Schwester. Sie ist eine echte Nervensäge.“
Pferde satteln …
„Wie heißt du?“, fragte er den Jungen.
„Mein richtiger Name ist Reagan. Reagan Thomas Alden. Aber die meisten nennen mich Chip.“
Mitch widmete sich wieder dem Ausmisten der Box. „Soweit ich weiß, dürfen Gäste unter achtzehn nicht allein ausreiten.“
„Ja, schon, aber mein Ausritt ist erst nach vier. Was soll ich denn bis dahin machen?“
„Wie wär’s damit, wenn du ein Buch liest?“, schlug Mitch vor, während er den angenehmen Rhythmus seiner Arbeit wieder aufnahm.
„Hey!“ Chip strahlte. „ Sie könnten doch mit mir und Ash ausreiten! Ungefähr eine halbe Meile östlich von hier gibt es diese riesigen, unheimlich aussehenden Felsen. Die sehen aus, als würden die Finger eines Riesen aus der Erde ragen. Die könnte ich Ihnen zeigen.“
„Ich glaube nicht.“
„Ach bitte, Casey! Sie haben doch gerade nichts Wichtiges zu tun.“
Mitch schaufelte weiter. „So wie ich das sehe, habe ich einen der wichtigsten Jobs hier. Ich sorge dafür, dass die Pferde, die ihr reitet, einen sauberen Schlafplatz für die Nacht haben.“
„Ja, schon. Aber hätten Sie nicht viel mehr Lust, zu reiten?“
Mitch antwortete ehrlich: „Nein.“ In Wahrheit hatte er keinerlei Erinnerungen an Pferde. Wenn er früher hatte reiten können, war dieses Wissen jedenfalls verschwunden, zusammen mit den Erinnerungen an seinen Namen und seine Vergangenheit. Aber irgendwie bezweifelte er das. Er hatte eher den Verdacht, dass ihn das Reiten nie genug interessiert hatte, um es zu lernen.
Die Sache war schwierig. Wenn er tatsächlich Casey Parker war, hatte er gelogen, um diesen Job zu bekommen. Und wenn er nicht Casey war – wer um alles in der Welt war er dann?
Ob er nun wirklich Casey Parker war oder nicht: Er wurde das Gefühl nicht los, dass ihm das Ergebnis nicht gefallen würde, wenn er seine wahre Identität herausfand.
Die Handfeuerwaffe in seinem Stiefel. Das Geldbündel. Die Schusswunde. Das alles lief auf eine düstere Wahrheit hinaus: Er stand nicht auf der Seite des Gesetzes.
Wenn sein Traum Rückschlüsse auf die Wirklichkeit zuließ, musste er ein Killer sein. Jemand, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, andere zu erschießen. Und wenn das stimmte, wollte er sich lieber nicht an seine Identität erinnern.
Er – und die Gesellschaft – wäre besser dran, wenn er einfach für den Rest seines Lebens hierbliebe und Ställe ausmistete …
Mitch hielt inne und lauschte angestrengt auf das dumpfe Grollen. War das Donner? Oder ein näher kommender Lastwagen?
„Das klingt nach Travis Brown“, erklärte Chip. „Der spielt sich immer auf wie ein Depp, sagt Becca.“
Es war das Geräusch von Pferdehufen – schwach, aber lauter werdend, bis das Hufgeklapper direkt draußen vor dem Stall zu hören war. Ein Pferd wieherte laut vor Schmerz und Angst. Dazu ertönte ein Schrei. Mitch ließ die Schaufel fallen.
„Ashley!“ Chip rannte zur Tür, doch Mitch schwang sich über die Boxenwand und war schneller.
Ein reiterloses Pferd bäumte sich auf, während ein Mann in Fransenhose und Lederweste hinter dem aufgebrachten Tier am Boden lag. Ein junges Mädchen kauerte vor dem Pferd und schützte den Kopf mit den Armen.
Mitch zögerte nicht. Er stürmte zu dem Mädchen.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er Rebecca Keyes, die von der Ranch herübergerannt kam. Ihr Hut fiel in den Staub. Sie schnappte sich die Zügel des Pferdes im gleichen Moment, als Mitch das Mädchen packte und aus der Gefahrenzone brachte.
Die schlagenden Hufe des Pferdes kamen Rebeccas Gesicht bedrohlich nahe, doch sie zuckte nicht einmal zurück.
Mitch drückte Chip das Mädchen in die Arme und machte sich bereit, Rebecca zu Hilfe zu eilen. Doch sie ließ dem Pferd einfach ein wenig Raum, indem sie außerhalb der Reichweite der Vorderhufe blieb.
Die Flanken des Pferdes waren aufgerissen, als sei es von zu spitzen Sporen verletzt worden. Außerdem hatte es blutigen Schaum vor dem Maul. Es zitterte, und das dunkle Fell glänzte von Schweiß.
Der abgeworfene Mann kroch aus dem Gefahrenbereich der mächtigen Hinterbeine. „Haben Sie das gesehen?“, rief er, während
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