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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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ein Blick in den eigenen Spiegel. Und so ist die Leitfrage «Was ist es in mir, dass ich so und so auf dich oder auf dieses oder jenes reagiere?» gewiss geeignet, Selbsterkenntnis zu fördern und mitmenschliche Verständigung zu erleichtern. – Die diesem Grundgedanken entsprechende operationalisierbare und trainierbare Verhaltensweise – «das Senden von Ich-Botschaften» – läuft jedoch Gefahr, eine mitmenschliche Ursprünglichkeit durch eine professionelle Art, sich mitzuteilen, zu ersetzen und den Ausdruck der Emotionalität in eine routinierte Form zu gießen. Wer «Ich-Botschaften sendet», steht als Kommunikations-Profi über dem Geschehen und hat sich nicht selten aus der ursprünglichen Betroffenheit entfernt. Und so enthält unter Umständen die kommunikationspsychologisch verpönte Du-Botschaft (etwa ein gereiztes «Du bist ein furchtbarer Quälgeist») ein authentischeres Bekenntnis zur eigenen Gereiztheit als die konzeptgemäß formulierte Ich-Botschaft («Ich möchte im Augenblick etwas für mich sein und fühle mich von dir jetzt sehr gestört!»). Natürlich wäre es wünschenswert, wenn der Sender bereit und fähig ist, bei Bedarf seinen inneren Ich-Zustand nachträglich zu erläutern.
    Ein zweites Beispiel: ähnlich wie die Ich-Botschaft, so ist auch eine andere psychologische Verhaltensweise von dem Schicksal bedroht, sich von einer Grundhaltung zu entfernen und zur Technik zu verselbständigen: das aktive Zuhören (vgl. S. 63), das «Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte», das ein einfühlendes Verstehen ermöglichen soll und darauf abzielt, sich in die phänomenale Welt des anderen einzufinden. Es besteht kein Zweifel, dass eine solche Empathie therapeutisch grundlegend und mitmenschlich wertvoll ist (vgl. Rogers 1980), und wer sich durch Psychologie in seinen empathischen Fähigkeiten erweitert, hat einen großen Schritt getan. Wenn jedoch diese empathische Haltung infolge eines Verhaltenstrainings sich in einem mechanischen, stereotypen «Spiegeln» zeigt, führt dies zu einer bemitleidenswerten Verarmung mitmenschlicher Kommunikation. Wirkliche Empathie drückt sich in vielfältiger Weise aus, bedarf keiner sprachlichen Stereotypie. Und wenn Psychologen dann noch anfangen, dieses Verhalten in Situationen «anzuwenden», in denen das einfühlende Verstehen weder stimmig ist mit ihrer eigenen inneren Verfassung noch mit der Beziehung zum anderen noch mit dem Charakter der Situation, dann kann aus der ursprünglich wertvollen Einstellung eine hilflose Verschrobenheit werden – oder ein heimliches Kampfmittel (s.u.).

     
«Stimmigkeit hat Vorrang!» – Diese Oberregel (vgl. S. 137) sollte die erste Lektion jedes psychologischen Trainings sein, in dem Verhaltensweisen eingeübt werden.

5.
    Therapeutisches Verhalten als Manipulations- und Kampfmittel
    Bisher habe ich die Gefahr beschrieben, dass «psychologische» Verhaltensweisen sich von ihrer Grundhaltung ablösen und – mechanisch verwirklicht – zu einem bloßen Psycho-Jargon verkommen, der die Vielfalt der kommunikativen Möglichkeiten verarmen lässt und nicht zur Erweiterung der Individualität, sondern zu einer bloßen Uniformierung des Verhaltens führt. Dies wäre schade, aber noch nicht sehr gefährlich. Anders sieht es aus, wenn diese Verhaltensweisen sich nicht nur von den genannten Grundhaltungen lösen, sondern in den Dienst ganz anderer, geradezu ins Gegenteil verkehrter Haltungen gestellt werden.
    Jede Nachricht hat – wie auf S. 244ff. ausgeführt – einen Ausdrucks- und einen Wirkungsaspekt. «Ich habe Durst» drückt einen bestehenden Zustand aus, enthält gleichzeitig aber auch den Versuch, einen gewünschten Zustand herzustellen (Appellaspekt: «Gib mir zu trinken!») Die alltäglich üblichen Kommunikationstechniken (z.B. positive Selbstdarstellung, höflicher Tonfall usw.) betonen den Wirkungsaspekt: den anderen beeindrucken, bei Laune halten usw. Gegenüber dieser üblichen «Maskerade» betont das Authentizitätsprinzip in der Humanistischen Psychologie den Ausdrucksaspekt: Ausdrücken, was in mir vorgeht, unter Verminderung der Wirkungskontrolle.
    Und nun passiert (nicht nur in der Satire) Folgendes: Ein Verhalten, das durch seinen Phänotypus vorgibt, ausdrucksorientiert zu sein (z.B. die Ich-Botschaft), ist genotypisch, nämlich von der Absicht her, wirkungsorientiert («um ihr die Selbstöffnung zu erleichtern …», s. S. 301). Da ist die alte, übliche Fassade ehrlicher gewesen –

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