Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
sie gibt (metakommunikatorisch) nicht vor, etwas anderes zu sein, und jeder kann sich darauf einstellen.
So werden Verhaltensweisen, die von der Grundidee her ausdrucksorientiert sind und existenzielle, herrschaftsfreie Dialoge und Begegnungen fördern wollen, zu neuen Manipulationsinstrumenten und zu Techniken der Oberhand-Sicherung. Der alte Wolf erscheint hier im Schafspelz einer humanistisch-therapeutischen Orientierung.
6.
Der Doppelcharakter psychologischer Verhaltensweisen
Halten wir fest: Die operationalisierbaren und trainierbaren psychologischen Verhaltensweisen haben einen Doppelcharakter: Je nachdem, vor welchen Wagen sie gespannt werden, können sie in den Dienst der mitmenschlichen Verständigung oder in den Dienst der Selbstdarstellung, Manipulation und Interessendurchsetzung treten.
Dieser Doppelcharakter kommt eindrucksvoll in dem folgenden Traum meines Freundes und Kollegen Jens Hager zum Ausdruck:
Ich werde auf der Straße von einer Gruppe von Rockern aufgegriffen und abgeführt. Sie bringen mich in ein Gebäude, ich bin in ihrer Gewalt. Sie klagen mich an, schlimme Dinge begangen zu haben, und da ich ihnen ausgeliefert bin, droht mir der Tod. Statt mich zu rechtfertigen oder zu verteidigen, höre ich aktiv zu. Dies rettet mich: Sie lassen mich schließlich frei.
Besser kann der Doppelcharakter des aktiven Zuhörens kaum zum Ausdruck gebracht werden: Einerseits ein wirksames Instrument zur Durchsetzung eigener Interessen, hier sogar zur Rettung des eigenen Lebens: Wir haben einen Psychologen vor uns, der durch «geschicktes» Verhalten das erreicht, was er erreichen will. Dies ist die eine Seite. Die andere: Enthält nicht der Versuch, die Welt des anderen einfühlend zu verstehen, die einzige Chance, eine Verständigungsbrücke zwischen verfeindeten Welten zu schlagen? Der Versuch, die Beweggründe, den Unmut des anderen nachzuvollziehen, die einzige Möglichkeit, Gewalt und Totschlag abzuwenden?
7.
Die «gemachte» Ursprünglichkeit
Das Problem hat noch einen anderen Aspekt. Die Humanistische Psychologie hat eindrucksvoll dargelegt, dass Fassaden und Manipulationstechniken das Miteinander nicht fördern, dass stattdessen das Finden des eigenen Selbst und seine authentische Vertretung in ursprünglicher, echter Weise die Persönlichkeit erweitert und die Mitmenschlichkeit fördert.
Nun passiert aber Folgendes: Nachdem derartige Formen des menschlichen Ausdrucks dort, wo sie geschehen, als konstruktiv erkannt worden sind, werden sie nun zum Ziel von Bemühungen. Wie wir aber seit Kleists «Marionettentheater» (sämtliche Werke o.J.) wissen, ist das, worum man sich absichtsvoll bemüht, nicht mehr dasselbe wie das, was (von selbst) geschieht. So kann auch «Echtheit» geradezu unmöglich werden durch den gutgemeinten Vorsatz «Ich will jetzt echt sein!» – Ebenso ist es nicht dasselbe, ob ein Therapeut oder Trainer sich selbst einbringt oder ob er «Selbsteinbringung realisiert», da sich dies in Untersuchungen als günstig herausgestellt hat. Das «rein Menschliche» wird hier zum professionellen Werkzeug.
Ich habe nichts gegen professionelle Werkzeuge – sie sind notwendig. Nur wenn sie vorgeben, gerade dies nicht zu sein, wird die Sache schief.
Aus dem Paradies der ersten Naivität für immer vertrieben, sind wir Psychologen auf der Suche nach der zweiten Naivität. Die Psychologie, einst Befreiungshilfe aus alten Ketten, droht nun selbst zur Fessel zu werden. Eindrucksvoll schrieb mir dazu Karin v. d. Laan:
«Was ich mir wünsche: Eine lebendige Verbindung herstellen, so daß ich alle Kommunikationsregeln vergesse.»
Und an einer anderen Stelle:
«Die Unwahrhaftigkeit ist es auch, die mich quält, wenn in Therapiegruppen ‹Echtheit und Gefühl› praktiziert wird … Die Aussage ‹Ich bin jetzt sehr wütend› ist … einfach unwahr, sie stimmt in sich selbst nicht. Das besonders Schlimme daran ist, daß hier eine raffinierte Vortäuschung von Ehrlichkeit vorliegt, die sich auch noch mit Naivität tarnt. Dagegen kann man sich nicht so leicht wehren, die Verlogenheit ist überhaupt schwer aufzudecken. Sie kann einen ganz ratlos machen.»
Der Weg zur zweiten Naivität ist weit. Mögen uns unsere Mitmenschen, die Marias in unserer Umgebung, verzeihen, wenn uns unterwegs – hoffentlich nur als Übergangsphänomen – allerlei Verschrobenheiten unterlaufen!
Kann die Psychologie zur Verbesserung der zwischenmenschlichen Kommunikation beitragen? Meine Überzeugung: Ja, sogar
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