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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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ist die Annahme, dass «Störungen» nicht so sehr die Eigenarten eines Individuums widerspiegeln, sondern sozusagen auf einer systematisch missglückten Form des Aneinandergeratens beruhen. Die «übersummative» Gleichung:

    1 + 1 = 3

    besagt, dass es «in jeder Kommunikation eine Art sur-plus, eine Eigendynamik (gibt), die nicht nur aus der Summe der Anteile der einzelnen Kommunikationspartner zu erklären ist» (Brunner u.a. 1978, S. 52). Salopper ausgedrückt: Wenn Hans und Lene eine Beziehung eingehen, wenn ihre Persönlichkeiten «aufeinanderprallen», dann geschehen Dinge, die man kaum ahnen kann, wenn man Hans und Lene einzeln kennt. Und wenn einer von beiden «krank» oder depressiv oder unausstehlich wird, dann mag es weniger erfolgversprechend sein, den einen unter die Lupe zu nehmen, als die Art des Miteinander-Umgehens von beiden, ihre unbewussten «Spielregeln» (s. Abb. 37).

    Abb. 37:
    Systemtheoretischer Ansatz: Bei Störungen einzelner Individuen wird die Art des Miteinanders «unter die Lupe genommen» und verändert, nicht das einzelne Individuum.
    Dabei kann es sich zum Beispiel erweisen, dass die «Störung» des einen ein «sinnvolles» Mittel zur Aufrechterhaltung der Beziehung darstellt.
«Tatsächlich ist nämlich in Systemen mit homöostatischer Tendenz die ‹Pathologie› bestimmter Mitglieder die unabdingbare Voraussetzung für das Weiterbestehen des Gleichgewichts …» (Selvini-Palazzoli u.a. 1978, S. 64)
    Die systemtheoretische Betrachtungsweise, die den Relationen zwischen den Elementen größere Aufmerksamkeit widmet als den Eigenschaften der Elemente selbst, unterstellt ferner Kreisförmigkeit , d.h. eine wechselseitige Einflussnahme, bei der die Frage nach dem Anfang ohne Sinn ist und nur willkürlichen Interpunktionen Vorschub leistet. Entsprechend entfällt eine moralische Betrachtungsweise, entfällt die Frage nach Schuld und Recht. Über die Schulklasse schreiben z.B. Selvini-Palazzoli u.a. (1978, S. 621):
«Die Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Klasse sind, wie alle Beziehungen innerhalb eines interaktiven Systems, kreisförmig: Reaktion und nachfolgendes Ereignis sind nicht voneinander zu trennen, und es ist ganz und gar willkürlich, die Abfolge von Verhaltensweisen nach Ursache und Wirkung, Herausforderung und Herausgefordertsein usw. ‹interpunktieren› zu wollen. Wer behauptet, daß das Verhalten von A Ursache des Verhaltens von B innerhalb der Schulklasse sei, will die Wirkung des Verhaltens von B auf A nicht wahrhaben. Wir müssen also fortschreiten, und innerhalb dieses Modells ist es ganz einfach nicht möglich zu sagen, wer von beiden ‹angefangen› hat.»

    Natürlich darf die systemtheoretische Sichtweise nicht verabsolutiert werden. Wie jemand kommuniziert und sich verhält, welche Eigenarten und «Neurosen» er hervorbringt, ist auch interaktionsbedingt, aber wohl kaum ausschließlich. Es darf angenommen werden, dass einige individuelle Merkmale und Persönlichkeitsausrichtungen in nahezu jedem Interaktionsgefüge «durchschlagen». Die «Gleichung» 1 + 1 = 3 zeigt ja, dass in der Summe auch die beiden Summanden der linken Seite enthalten sind.
Übungen
1. Besinnen Sie sich auf einen «schwierigen» Mitmenschen, mit dem Sie oft zu tun haben, vielleicht jemand, der Ihnen schon manches «angetan» hat.

Finden Sie heraus, worin Ihr eigener Beitrag zum misslichen Verhalten des anderen besteht; wie haben Sie «mitgespielt»?

2. Kennen Sie eine Familie (oder ein Team, eine Gruppe) mit einem «schwarzen Schaf» (jemand, der «gestört» ist oder sich «unmöglich» benimmt)?

Wenden Sie die systemtheoretische Betrachtungsweise an, indem Sie sich fragen, wie dieses Verhalten aus dem Netz der Beziehungen verständlich wird!

V.
    Metakommunikation – die Gewohnheit der nächsten Generation?
    Es gibt kaum ein Heilmittel, das für «kranke», gestörte Kommunikation von den Fachleuten so empfohlen wird wie (explizite    [2] ) Metakommunikation. Gemeint ist eine Kommunikation über die Kommunikation, also eine Auseinandersetzung über die Art, wie wir miteinander umgehen, und über die Art, wie wir die gesendeten Nachrichten gemeint und die empfangenen Nachrichten entschlüsselt und darauf reagiert haben. Zur Metakommunikation begeben sich die Partner gleichsam auf einen «Feldherrnhügel» (Langer), um Abstand zu nehmen von dem «Getümmel», in das sie sich verstrickt haben und in dem sie nicht mehr (oder nur zäh und schwierig) weiterkommen

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