Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
zu klären, statt mich unbemerkt vor falsche Wagen spannen zu lassen.
1.4
Offizielles und eigentliches Thema – oder: «Typische Pilzgespräche»
Wann sind wir «ganz bei der Sache»? Wenn die innere Energie dem Thema zur Verfügung steht. Oft passiert es, dass in der Innenwelt der Gesprächspartner ein ganz anderes Thema aktuell ist als das, worüber offiziell gesprochen wird. Die daraus folgende «Halbherzigkeit» ist ein Stück ungelebtes Leben – deswegen kann das Anliegen der Themenzentrierten Interaktion, offizielles und «eigentliches» Thema zur Deckung bringen, als Wegweiser für die Verbesserung jeglicher zwischenmenschlicher Kommunikation dienen. Andernfalls gibt es typische «Pilzgespräche» wie in einer Szene aus Tolstois «Anna Karenina»:
Der 40-jährige Sergej Iwanowitsch hatte Zuneigung zu einer jungen Frau, Warenjka, gefasst, und auch sie war ihm wirklich herzlich zugetan. Eine Spazierfahrt in den Wald war arrangiert worden, sodass das entscheidende Gespräch stattfinden konnte. Gerade hatte Sergej Iwanowitsch alles noch einmal überdacht und überfühlt und «sein Herz zog sich zusammen vor lauter Wonne, ein Gefühl tiefer Rührung überkam ihn, und er fühlte, dass er einen Entschluss gefasst hatte». – Sein «eigentliches» Thema formulierte sich ihm so, während er auf sie zuging:
«Warwara Andrejewna, als ich noch ganz jung war, hatte ich mir ein Ideal von der Frau geschaffen, das ich lieb gewann und das für mich bei der Wahl meiner zukünftigen Gattin maßgebend sein sollte. Ich habe nun ein gutes Stück Leben hinter mir, fand jetzt in Ihnen zum erstenmal das, was ich suchte. Ich liebe Sie und biete Ihnen meine Hand an.
So sprach Sergej Iwanowitsch still vor sich, als er etwa zehn Schritte von Warenjka entfernt war …
Sie legten schweigend ein paar Schritte zurück. Warenjka sah, dass er sprechen wollte, sie erriet auch, wovon, und war ganz benommen vor Freude und Bangigkeit.»
Das «entscheidende Gespräch» verlief dann so:
Sie: «Nun, haben Sie etwas gefunden?»
Er: «Nicht einen einzigen. Und Sie?»
Sie: «Sie haben also nichts gefunden? Das ist wohl meistens so, tiefer im Wald wachsen nicht so viele Pilze wie am Rand?»
Er (nach längerem Schweigen): «Ich habe mir nur sagen lassen, dass die Steinpilze hauptsächlich am Rand wachsen. Ich kann übrigens die Steinpilze nicht von anderen Sorten unterscheiden.»
(Lange Pause, in der er noch einmal seinen Entschluss bekräftigt und merkt: «Jetzt oder nie musste er sich erklären.»)
Er: «Welcher Unterschied besteht eigentlich zwischen Steinpilzen und Birkenpilzen?»
Sie (bebt vor Erregung): «Der Hut ist bei beiden fast gleich, nur die Stiele sind verschieden.»
«Und kaum waren diese Worte ihren Lippen entflohen, als sie beide begriffen, dass alles zu Ende war, dass die Aussprache, die sie beide erwarteten, nicht erfolgen würde.»
Er: «Der Stiel des Birkenpilzes erinnert an das Gesicht eines brünetten Mannes, der sich seit zwei Tagen nicht rasiert hat.»
Sie: «Ja, das stimmt.»
In der alltäglichen Kommunikation sind die Folgen nicht immer so drastisch wie in diesem Beispiel. Mag auch sein, dass dem Pilzgespräch der beiden Liebenden eine allerinnerste Unentschlossenheit zugrunde lag, die als unbewusste Bremse das Aufkommen des eigentlichen Themas verhindert hat. Auf jeden Fall scheint mir, dass unsere Kommunikationswelt reich ist an derlei «Pilzgesprächen».
Das offizielle Thema «ergibt sich» mehr aus der Logik der Situation als aus der Psycho-Logik der Gesprächspartner. So kommt ein Geschäftsmann von einer längeren Geschäftsreise nach Hause zurück. Das offizielle Thema mit seiner Frau nach der Begrüßung ergibt sich situationslogisch «von selbst»: Wie war es? – Er erzählt Begebenheiten, die sich auf der Reise zugetragen haben. Von ihm aus ist es ein wenig eine Pflichtübung, ihm ist nicht nach Erzählen zumute. Sie bemüht sich, ihrerseits, interessiert zuzuhören, kann aber ihr eigenes Desinteresse nicht ganz verbergen. «Du hörst ja gar nicht richtig zu!», schilt er sie mürrisch. «Doch, aber du erzählst so viele belanglose Einzelheiten.» – Verstimmung. Das offizielle Thema hatte nicht dem eigentlichen Thema entsprochen. Dies lautete bei der Frau: «Wie stehst du zu mir gefühlsmäßig, nachdem du fort warst und viele andere Menschen kennengelernt hast?»
Gut geübt in schneller Situationsbewältigung, hindern wir uns, das eigentliche Thema bei uns selbst zutage zu fördern. Dieses
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