Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
Wörter, die uns zur Darstellung von Sachverhalten zur Verfügung stehen, auf Grund von früheren Verknüpfungen fast sämtlich diese gefühlsmäßig wertenden Anteile im Schlepptau haben und somit in sich selbst bereits appellhaltig sind. Eine Zeitlang tobte durch die Nachrichtenmedien der Streit, ob von Baader-Meinhof-«Gruppe» oder von Baader-Meinhof-«Bande» zu sprechen sei. Abgesehen von der politischen Selbstoffenbarung, die in der Wortwahl lag, war der Streit deswegen so belangvoll und hartnäckig, weil mit der gewählten «Sprachregelung» unterschiedliche Appelle an die Bevölkerung verbunden waren: «Bande» enthält den eindeutigen Appell: «Setz dich davon ab, unterstütze diese Leute weder durch die Tat noch durch deine stille Sympathie!»
Abb. 79:
Zwei Bezeichnungen mit unterschiedlichen damit verbundenen Appellen.
Aus diesen Überlegungen ist der Schluss zu ziehen: Da die Sprache, die uns zur Darstellung von Sachverhalten zur Verfügung steht, appellhaltig ist, können wir nicht nicht Einfluss nehmen. Wie jemand die Sachverhalte dieser Welt sprachlich darstellt, dies ist abhängig von seiner «Brille», mit der er die Welt sieht; und diese Brille wiederum ist abhängig von seinen Interessen. Jede sprachliche Darstellung enthält nun den Versuch, auch dem Empfänger diese Brille aufzusetzen. Denn umgekehrt ist die Brille auch Resultat der sprachlichen Darstellung – der Begriffe und Kategorien nämlich, die mir zur Verfügung stehen und meine Wahrnehmung ausrichten. Die Begriffe und Kategorien werden mir aber zur Verfügung gestellt von denen, die vor mir da sind und von denen, die sprachlich «am Drücker» sind (Inhaber der Medien und der Bildungsinstitutionen). In der ständigen Wechselwirkung von interessengeleiteter Brille und sprachlicher Darstellung (s. Abb. 80) haben diese Personen sozusagen den Vorteil des ersten Zuges.
Abb. 80:
Wie ich die Welt sprachlich darstelle, hängt von meiner (interessengeleiteten) «Brille» ab. Umgekehrt nimmt die mir zur Verfügung stehende Sprache Einfluss auf meine «Brille».
Abb. 81:
Die Appellseite des Begriffes «Arbeitgeber».
So kann es kommen, dass ich die Welt teilweise mit der Brille derer sehe, die ganz andere Interessen haben als ich. In der Herstellung eines solchen «falschen Bewusstseins» sehen Systemkritiker eine Hauptfunktion der Schule im kapitalistischen System. – Als Einzelbeispiel dafür, wie die zur Verfügung gestellten und von allen übernommenen Sprachregelungen Appelle mit einseitiger Interessenausrichtung enthalten, wird gern das Begriffspaar Arbeitgeber–Arbeitnehmer angeführt: Das Wort Arbeitgeber legt nahe, dass hier jemand «gibt», und enthält den Appell an den «Nehmenden», dankbar zu sein und keine allzu fordernde oder gar klassenkämpferische Haltung einzunehmen.
Abb. 82:
die Appellseite des Begriffes «Ausbeuter».
Mit gleicher Berechtigung könnte man das Begriffspaar genau umgekehrt verwenden: Arbeitgeber für den, der seine Arbeitskraft gibt, nämlich zur Verfügung stellt; und Arbeitnehmer für den, der die Arbeit(sleistung) in Empfang nimmt und für seine Zwecke verwertet.
Das sprachliche Gegenstück zeigt sich in der Bezeichnung «Ausbeuter». Die gefühlsmäßigen Anteile, die dieser Begriff im Schlepptau hat, legen den Appell nahe: «Wehre dich! Lass das mit dir nicht machen!»
Wie überhaupt die herabsetzende sprachliche Etikettierung von Menschen oder Gruppen die «Erlaubnis» und die Aufforderung zur Gewalttätigkeit enthält (Judensau, linke Gammler, Bullen, Ungeziefer usw.). Mit Recht spricht man von emotionalen Appellen, wenn die Handlungsaufforderung nicht argumentativ begründet wird, sondern wenn durch Verwendung von Begriffen und Formulierungen diejenigen Gefühle (und Handlungsbereitschaften) geweckt werden, die diese Begriffe – wie wir es nannten – «im Schlepptau» haben.
4.
Paradoxe Appelle
4.1
«Vom Anbefehlen des Gegenteils»
Wir haben bisher als selbstverständlich unterstellt, dass in jedem (offenen oder verdeckten) Appell die Richtung zum Ausdruck kommt, in die der Empfänger sich bewegen soll. Dies scheint banal und selbstverständlich. Wenn ich möchte, dass der andere kommen soll, dann werde ich sagen: «Komm her!» und nicht: «Bleib, wo du bist!» Wenn ich möchte, dass der Empfänger ein bestimmtes Getränk kauft, dann werde ich in einer Werbesendung jemanden zeigen, der es trinkt und sagt: «Herrlich erfrischend!» – dagegen werde ich nicht zeigen,
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