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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Vorschläge, aus diesem oder jenem Grund zu Hause zu bleiben usw. Der Mann fühlt infolge dieses Drucks seine Ehe als eine Art Fessel (oder Gefängnis). Je mehr die Frau ihn bedrängt, desto stärker wird dieses Gefühl und desto größer sein Wunsch nach Freiheit und desto häufiger seine «Ausbrüche» – um sich selbst (und seiner Frau) diese Freiheit zu beweisen.
    Auch bei dem letzten Beispiel liegt auf der Hand, dass ein «Mehr derselben Maßnahmen» (Vorwürfe, Versuche der Einflussnahme) genau das Gegenteil des gewünschten Effektes bewirken; und dass die einzig aussichtsreiche Lösung (aus der Sicht der Frau) darin besteht, «weniger derselben Maßnahmen» zu verwirklichen: Wenn sie (durch ihr gesamtes Verhalten) signalisiert: «Es ist o.k., wenn du gehst!» – dann wird sein Wunsch hinfällig, aus einem «Gefängnis auszubrechen» – denn es ist ja gar kein Gefängnis mehr!
    Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich: Bei manchen Problemen helfen Lösungen erster Ordnung nicht nur nicht, sondern tragen derart zur Verschärfung des Problems bei, dass die Lösung selbst zum eigentlichen Problem wird. Diese Einsicht führt zu einer neuen Lösungsstrategie. Sie lautet: Wenn du ein Problem vor dir hast, das offenbar schwierig zu lösen ist, dann prüfe, ob nicht die Hartnäckigkeit des Problems durch falsche Lösungsversuche erster Ordnung bedingt ist. Ist dies der Fall, dann richte deinen Lösungsversuch nicht gegen das Problem selbst, sondern gegen diese falschen Lösungsversuche. Oftmals wird dadurch das Problem nicht nur entschärft, sondern auf überraschende Art vollends gelöst. Watzlawick u.a. (1974) sprechen von Lösungen zweiter Ordnung. Wesensmerkmal solcher Lösungen: Sie richten sich nicht gegen die Schwierigkeit selbst, sondern gegen die Lösungsversuche erster Ordnung, die aus der bloßen Schwierigkeit ein «dickes» Problem machen.
    4.3
    Symptomverschreibungen
    Wir haben gesehen, dass Appelle in die Gegenrichtung den Versuch einer Lösung zweiter Ordnung darstellen. In der psychotherapeutischen Praxis nehmen solche paradoxen Appelle oft die Form einer «Symptomverschreibung» an. Der Klient wird nicht ermahnt, das Symptom aufzugeben. Denn Appelle fruchten nichts bei Reaktionen, die keiner willkürlichen Steuerung unterliegen. Stattdessen wird der Klient angewiesen, das Symptom auszuführen! Ein paar Beispiele hierfür:
Jemand hatte Schwierigkeiten einzuschlafen. Seine Lösungsversuche bestanden darin, den Schlaf durch allerlei Techniken herbeizuführen («Schafe zählen», Selbstsuggestionen usw.). Schlaf aber muss sich spontan ereignen, lässt sich durch bewusste Willensakte nicht herbeiführen – ja, die Willensanstrengungen verhindern geradezu das Einschlafen. So wurde aus der Schwierigkeit ein ernstes Problem (verschärft durch Medikamente). Eine Lösung zweiter Ordnung richtet sich gegen die versuchten Fehllösungen und besteht in dem Appell des Therapeuten: «Halten Sie die Augen offen und versuchen Sie wach zu bleiben. Erst wenn der Schlaf Sie übermannt, dürfen Sie die Augen schließen!» Durch diesen Appell in die Gegenrichtung wird der Klient an seinen Lösungsversuchen (erster Ordnung) gehindert. Damit wird die Hauptbarriere für das spontane Einschlafen beseitigt.
 
Ein Ehepaar, das sich nicht mehr versteht, wird angewiesen, sich täglich zweimal, sagen wir von 8 bis 8.10 Uhr und von 19.45 bis 19.55 Uhr, in gereizter, feindseliger Art zu streiten.
 
Ein Patient mit einem bestimmten Tic erhält die Anweisung, diesen Tic in exzessiver Weise absichtlich auszuführen.
    Um zu verstehen, wieso Symptomverschreibungen geeignet sein können, den Klienten von seinem Symptom zu heilen, müssen wir einen kurzen Einblick in das Wesen der sog. Sei-spontan-Paradoxie nehmen:

    Paradoxe Appelle als Krankmacher und als Gesundmacher. Manche Appelle, die Eltern an ihre Kinder, Vorgesetzte an ihre Mitarbeiter, (Ehe-)Partner aneinander richten, sind paradox. «Sei doch nicht immer so nachgiebig, immer tust du genau das, was ich dir sage!», sagt ein Mann zu seiner Freundin. Das Paradoxe an dieser Aufforderung liegt darin, dass die Freundin dem Appell nur nachkommen kann, indem sie ihm nicht nachkommt. Denn kommt sie ihm nach, dann hat sie schon wieder das getan, was er ihr auftrug. Will sie dem Appell aber nicht nachkommen (und somit Eigenständigkeit zeigen), dann muss sie ihr altes, nicht eigenständiges Verhalten beibehalten. Das Teuflische an solchen paradoxen Appellen ist, dass der

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