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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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heilsam und therapeutisch, wenn sie eingebettet ist in einen wohlwollenden Kontext – wenn der Sender merkt, der andere will ihm wohl und drückt mit seiner Weigerung keine feindselige Haltung aus. Allgemein gesprochen: Konfrontation ist heilsam auf der Basis von Akzeptierung.
    «A-soziale» Verhaltensweisen können verschiedene Gestalt annehmen. Eine von Psychologen an Pädagogen häufig gegebene Empfehlung lautet: Ignoriere störendes und sonstwie problematisches Verhalten – gehe nicht darauf ein. Dies ist jedoch nur eine Möglichkeit, das Spiel nicht mitzuspielen. Dreikurs (1971) empfiehlt dem Erzieher in bestimmten Fällen die «psychologische Enthüllung»: Damit ist ein behutsames Ansprechen desjenigen Zieles gemeint, auf das das Verhalten des Kindes gerichtet zu sein scheint («Kann es sein, dass du möchtest, dass ich mich mit dir mehr beschäftige?»). – Eine weitere Möglichkeit ist: den herausgehörten Appell explizit zu machen und zurückzufragen, ob der Sender diesen Wunsch habe ausdrücken wollen. So könnte die Schwester im obigen Beispiel ihrem Bruder erwidern: «Ich höre heraus, du möchtest, dass ich dich mit der Erbschaftsangelegenheit heute in Frieden lasse – stimmt das?» Dadurch wird eine bewusste Auseinandersetzung auf der Erwachsenenebene gefördert. (Zu weiteren, im therapeutischen Kontext gebräuchlichen, appellwidrigen Reaktionen: vgl. Beier 1966.)
    3.3
    Geheimer Appellcharakter von Sachdarstellungen
    Im letzten Abschnitt haben wir einige Verhaltensweisen betrachtet, deren Botschaften der Empfänger üblicherweise auf die Selbstoffenbarungsseite lokalisiert. Wir haben gesehen, wie ein zusätzliches «Appell-Ohr» nicht nur vor undurchschauter Manipulation schützt, sondern auch einen diagnostisch tieferen Zugang zur Person des Senders eröffnet.
    Die bisher betrachteten Appelle waren «heimlich», weil die Hauptbotschaft auf der Selbstoffenbarungsseite zu liegen schien. Die nun zu betrachtenden Appelle verdanken ihre Heimlichkeit dem Umstand, dass die Hauptbotschaft auf der Sachseite zu liegen vorgibt. Nehmen wir eine Aussage wie: «Die unterschiedliche Intelligenz der Menschen ist weitgehend durch die Erbanlagen vorbestimmt.»
    Ein naiver Empfang dieser Nachricht würde darin bestehen, den Sachinhalt zur Kenntnis zu nehmen und als Wissensbestand und Entscheidungsgrundlage aufzunehmen. Dagegen trägt ein ideologiekritischer Empfang dem Umstand Rechnung, dass jede Nachricht vier Seiten hat und dass um der Appell-Wirkung willen manche Sachdarstellung tendenziös ist. Der erste Schritt einer ideologiekritischen Empfangsweise besteht somit in der Aufdeckung des verdeckten Appelles. In unserem Beispiel könnte er in der Aufforderung bestehen, mit der «Gleichmacherei» aufzuhören und Bemühungen um frühe Chancengleichheit (z.B. kompensatorische Vorschulprogramme) als illusionär aufzugeben. Weiter ist zu fragen: Wer (= welche Gruppen) kann ein Interesse daran haben, dass ein solcher Appell Anklang findet? Und: Gehört der Sender der Nachricht zu diesen Gruppen oder unterliegt er ihrem Einfluss (z.B. ihrer Bezahlung)?
    Für den Fall, dass gewichtige Anhaltspunkte für eine solche Interessen-Appell-Verschränkung sprechen, ist die Nachricht «ideologieverdächtig» (s. Abb. 76).

    Abb. 76:
    Ideologiekritischer Empfang einer Nachricht: den Appell aufspüren und als Dokument der Interessenlage des Senders auffassen. Diese Appell-Interessen-Verschränkung begründet den Ideologieverdacht und führt zu einer kritischen Überprüfung des behaupteten Sachinhaltes.
    Ein solcher Aufweis von Anhaltspunkten entbindet jedoch nicht von der Pflicht, den objektiven Wahrheitsgehalt der Nachricht zu untersuchen. Ideologisch ist sie nämlich nur, wenn sie objektiv falsch oder einseitig ist. So hat sich Manès Sperber (1978, S. 10) vom ideologiekritischen Argwohn seiner politisch engagierten Jugendjahre abgekehrt:
«Seit damals (1937) frage ich nicht mehr, wem eine Wahrheit nützlich oder schädlich sein könnte; um sie zu äußern und zu verteidigen, genügt es mir, sie als solche erkannt zu haben. Die Möglichkeit, daß sie auch dem Gegner in den Kram passen könnte, vermindert ihren Wert ebenso wenig wie sie diese oder jene liebgewordene Gewißheit zu erschüttern oder gar zu zerstören vermöchte. Die Wahrheit ist nicht funktionell, nicht taktisch und nicht parteiisch, aber brauchbar und leider auch leicht mißbrauchbar.»
    3.4
    Einige Strategien der Werbung
    Welche Strategien verfolgen die

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